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Lilly Beerman, Kurt A.Heller und Pauline Menacher

Mathe: nichts für Mädchen? Begabung und Geschlecht am Beispiel von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik

Verlag Hans Huber Bern Göttingen Toronto Seattle

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München Lilly Beerman, Dipl.-Psych., Projektleiterin des Forschungsvorhabens «Mädchen und Technik» an der Universität München Kurt A . Heller, Prof. Dr., Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Universität München Pauline Menacher, Dipl. Volkswirtin, Dipl. Wirtschaftspädagogin, Dr. phil. (Psychologie). Seit 1990 Mitarbeit am Institut für Empirische Pädagogik, Schwerpunkt: Hochbegabung

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Beerman, Lilly: Mathe: nichts für Mädchen?: Begabung und Geschlecht am Beispiel von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik/ Lilly Beerman, Kurt A . Heller und Pauline Menacher. 1. Aufl. - Bern; Göttingen; Toronto: Huber, 1992 (Psychologie-Sachbuch) I S B N 3-456-82152-2 N E : Heller, Kurt:; Menacher, Pauline:

1. Auflage 1992 1992 Verlag Hans Huber, Bern Druck: Lang Druck A G , Bern/Liebefeld Printed in Switzerland

Vorwort Ende 1988 hat das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ( B M B W ) in Bonn das Institut für Pädagogische Psychologie und Psychologische Diagnostik (Vorstand: Prof. Dr. Kurt A . Heller) der Universität München beauftragt, eine Literaturrecherche zum Thema "Technik, M a thematik und Naturwissenschaften: Erweiterung der Berufsperspektiven für begabte und interessierte Mädchen?" zu erstellen (BMBW-Förderungskennzeichen: B 3762.00 B). Die entsprechenden Arbeiten wurden noch im Dezember 1988 aufgenommen und Anfang 1990 mit einem umfangreichen Abschlußbericht an das B M B W in Bonn vorläufig beendet. Hauptamtliche Projektbearbeiterin in dieser Phase war Frau Dipl.-Psych. Lilly Beerman, unterstützt von den zeitweiligen Mitarbeiterinnen cand. psych. Ursula Bauer, cand.psych. Manuela Fuchs, cand.psych. Inga Koenen, cand.psych Simone Palierakes, cand.psych. Gabriele Schicht und cand.päd. Cornelia Rutsch. Ihnen allen gebühren Dank und Anerkennung für ihren unermüdlichen Einsatz und die geleistete Arbeit. Um die Ergebnisse einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, beschlossen wir, den vorliegenden Text des umfangreichen Abschlußberichts für ein Sachbuch umzuarbeiten. Hierbei wurden viele Details — etwa über Methodenprobleme oder einzelne, das Gesamtergebnis nicht substantiell beeinflussende Inhalte der erfaßten (empirischen) Studien — weggelassen, was die Lesbarkeit des Textes verbessern sollte. Wer sich eingehender über die eine oder andere Untersuchung informieren möchte, sei auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten Originalquellen verwiesen. Als (nicht unerwünschter) Nebeneffekt resultierte eine deutlich kürzere Fassung, was zur Akzeptanz des Sachbuches beitragen dürfte. Da die Erstautorin zwischenzeitlich eine Stelle in der Industrie übernahm, wurde Frau Dr. Pauline Menacher als Co-Autorin gewonnen. Sie hat sich sehr schnell eingearbeitet und einen wesentlichen Beitrag zur Neustrukturierung und Aktualisierung geleistet. Der Abschlußbericht wurde von ihr vollständig überarbeitet und um neue Veröffentlichungen ergänzt. Außerdem hat sie das Manuskript druckfertig erstellt. Beiden Mitarbeiterinnen schulde ich für ihre Mühewaltung anerkennenden Dank. Nichtsdestotrotz fällt die Verantwortung für eventuelle Unklarheiten oder gar Irrtümer auf mich als Projektleiter. Da die hier angesprochene Thematik mehr 5

offene Fragen als wissenschaftlich bestätigte Antworten enthält und die anhaltende Diskussion hierüber nicht selten kontrovers geführt wird, dürfte auch dieser Bericht manche Kritik provozieren. Insofern ist die Bezeichnung "Sachbuch" vielleicht etwas riskant. Andererseits sind Erkenntnisfortschritte nur über ausreichende Sachinformationen und eine differenzierte Problemdiskussion zu erwarten. Dazu soll dieses Buch, vor allem aus der Sicht psychologischer Forschungsergebnisse, beitragen. Kenner der Situation wird es kaum überraschen, daß die größten Forschungsdefizite im Hinblick auf gesicherte Erkenntnisse zur Verursachung geschlechtsspezifischer Differenzen existieren, wohingegen die relativ (zeit)stabilen Verteilungsphänomene in bezug auf unterschiedliche Ausbildungs- und berufliche Teilhabe von Mädchen und Jungen allenfalls wegen ihrer Persistenz noch Erstaunen hervorrufen können. Somit lag es nahe, den Schwerpunkt auf die psycho-sozialen Bedingungen sowie entsprechende pädagogische und psychologische Veränderungsmöglichkeiten zu legen. In der Bereitstellung und der wissenschaftlichen Absicherung von notwendigem Veränderungswissen sehen wir deshalb eine vordringliche Aufgabe für weitere empirische Untersuchungen im skizzierten Problemfeld. Diese erfordert gemeinsame Anstrengungen von Frauen und Männern. Jedenfalls erblicken wir hierin eine größere Chance als in mitunter modischen Grabenkämpfen der Geschlechter. Dem Verlag Hans Huber, insbesondere Herrn Dr. Peter Stehlin, sei für die Aufnahme dieses Werkes in die Sachbuchreihe vielmals gedankt. Möge es die aktuelle Diskussion um frauenfördernde Maßnahmen im angesprochenen Bereich nachhaltig beeinflussen und zu weiteren Studien anregen, vor allem aber die Ausbildungs- und Berufssituation mathematisch, naturwissenschaftlich bzw. technisch begabter und interessierter Mädchen und Frauen verbessern helfen. München, im September 1991

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K . Heller

Inhaltsverzeichnis Einleitung

9

Teill Zur Situation von Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik

11

Kapitel 1 Einige Begriffsdefinitionen

12

Kapitel 2 Bestandsaufnahme: Wieviele Mädchen entscheiden sich derzeit für eine mathematisch-naturwissenschaftliche oder technische Ausbildung und was leisten sie darin?

18

Kapitel 3 Stand der Forschung: Gibt es kognitive Geschlechtsunterschiede?

29

Teil II Erklärungsversuche für geschlechtsspezifische Unterschiede von Interesse und Begabung im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik

37

Kapitel 4 Theorien aus dem Bereich der Biologie

38

Kapitel 5 Erklärungsmodelle aus dem Bereich der Kognitions- und differentiellen Entwicklungspsychologie

44

Kapitel 6 Ansatzpunkte aus dem Bereich der Familien- und Sozialpsychologie (der Schule)

54

Exkurs über die Koedukationsdebatte

64

Kapitel 7 Integrative Ansätze zur Erklärung geschlechtsspezifischer Differenzen bei beruflichen und schulischen Entscheidungen

70 7

Teil HI Zur Verbesserung von Ausbildungs- und Berufschancen für mathematisch-naturwissenschaftlich bzw. technisch begabte und interessierte Mädchen

81

Kapitel 8 Persönlichkeitspsychologische Interventionsansätze

82

Kapitel 9 Maßnahmen für Eltern und Lehrer

91

Kapitel 10 Forderungen an die Institutionen

96

Ausblick

108

Literaturverzeichnis

111

Personenregister

136

Sachregister

140

8

Einleitung Die "äußeren" bzw. objektiven Möglichkeiten, einen mathematisch-naturwissenschaftlichen oder technischen Ausbildungsweg zu wählen, sind heute für Mädchen und Jungen annähernd gleich. t)aß dies nicht immer so war, zeigt die Tatsache, daß es noch vor einigen Jahren nur vereinzelt Mädchengymnasien mit mathematisch-naturwissenschaftlichem

Schwerpunkt

gab. So überrascht es auch nicht, daß viele Frauen die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachrichtungen bevorzugten. Daran hat sich bis heute allerdings nur wenig geändert. Dies kann an den nach wie vor für Frauen ungünstigeren Berufsbedingungen liegen, aber auch an sozialen bzw. psychologischen (also subjektiven) Barrieren, z.B. der Aufrechterhaltung von Geschlechtsrollenstereotypen, am mangelnden weiblichen Selbstvertrauen und Selbstkonzept und/oder an biologischen Faktoreri Erklärungsversuche für die Tatsache, daß sich so wenige Mädchen für eine Ausbildung in den sog. "harten" Naturwissenschaften oder in einem technikorientierten Beruf entscheiden, wurden deshalb aus biologischer, psychologischer, entwicklungs- und sozialisationstheoretischer Sicht unternommen. Entsprechende Theorien und empirische Forschungsergebnisse hierzu werden in diesem Buch referiert. Angesichts der fortschreitenden Technisierung des privaten und wirtschaftlichen Lebens werden die beruflichen Chancen in den technischen Bereichen überdurchschnittlich ansteigen. Die Ausbildung in einem mathematisch-naturwissenschaftlich oder technisch orientieren Beruf ist gerade für Mädchen eine zukunftsweisende Alternative zu jenen Berufen, in denen Frauen bisher vorwiegend tätig sind. Der Inhalt des vorliegenden Buches ist deshalb nicht nur für junge Frauen und Männer interessant, sondern für alle, die mit der berutlichen Ausbildung und Beratung von Mädchen betraut sind. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Begriff der Begabung allgemein und speziell mit der gegenwärtigen Situation begabter Mädchen und Frauen in bezug auf Mathematik, Naturwissenschaften und Technik. Es werden demographische Daten zur weiblichen Teilnahme im Ausbildungsund Berufsbereich dargestellt. Ergänzend hierzu wird der Stand der Forschung bezüglich geschlechtsspezifischer Begabungsunterschiede im auf-

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gezeigten Problemfeld beschrieben und durch eigene Replikationsstudien (mit Hilfe der Metaanalyse) ergänzt. Ausführlicher werden dann theoretische Erklärungsansätze für die geschlechtsspezifische Disparität in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik behandelt. Hierbei rückt die Frage nach der Verursachung solcher beobachteten Geschlechtsunterschiede in den Mittelpunkt der Erörterung. Im Hinblick auf konkrete Veränderungsmöglichkeiten sowohl personinterner als auch situationaler und sozialer Kontextvariablen werden wir vor allem "veränderungssensitive" Faktoren eingehender in die Analyse einbeziehen. Der dritte Teil des Buches ist der Erörterung erfolgversprechender Interventionsstrategien gewidmet. Maßnahmen zur Entdeckung und Entwicklungsförderung individueller Interessen und Motivationen, aber auch Möglichkeiten zur Einstellungsänderung jener Personen, die die Berufswahl von Mädchen beeinflussen, werden aufgezeigt. Schließlich werden Überlegungen zur Verbesserung der Situation

mathematisch-naturwissenschaft-

lich-technisch begabter Mädchen und Frauen sowie weiterführende pädagogisch-psychologische Forschungsansätze zur Diskussion gestellt. Ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie je ein Personen- und Sachregister beschließen dieses Sachbuch. Interessierte Leser/innen finden dort auch weiterführende Informationen zu den hier angesprochenen Problemen. Für wissenschaftliche Zwecke können darüber hinaus einschlägige Literaturdatenbanksysteme, z.B. P S Y N D E X der ZPID in Trier, nach bestimmten Schlüsselbegriffen abgefragt werden. Dieses Vorgehen empfiehlt sich insbesondere zur fortlaufenden Information über neue, hier noch nicht erfaßte Publikationen, wozu die nachstehende Adresse von Nutzen sein kann. Zentralstelle für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID) Universität Trier Postfach 3825 5500 Trier, Germany Tel.: +49-651-201-2877

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Teil I Zur Situation von Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Als Grundlage der Analyse geschlechtsspezifischer Interessen sowie geschlechtsspezifischer Optionen in der Berufsausbildung dient uns die Untersuchung der gegenwärtigen Sachlage. Die statistische Bestandsaufnahme zeigt, daß es die Gebiete der Mathematik, der Physik und Chemie sowie der technischen Fachgebiete sind, in denen die Beteiligung von Frauen und Männern am stärksten differieren. So erscheint es zunächst notwendig, einige zentrale Begriffe zu klären, denn Begabung und Hochbegabung allgemein und speziell auf die Fachgebiete Mathematik, Naturwissenschaften und Technik bezogen lassen sich auf unterschiedliche Weise operationalisieren, d.h. messen. Die Zusammenstellung der empirischen Ergebnisse von Fähigkeits- und Intelligenztests soll Aufschluß darüber geben, ob die Interessenunterschiede von Frauen und Männern im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischen intellektuellen Leistungsfähigkeiten stehen.

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Kapitel 1 Einige Begriffsdefinitionen Allgemein kann Begabung als individuelle Fähigkeitsvoraussetzung für Denk- und Lernleistungen definiert werden. Die Begabungsentwicklung im Kindes- und Jugendalter ist dabei als Interaktionsprozeß zwischen (person)internen Anlagefaktoren und externen Sozialisationsfaktoren zu verstehen. Entwicklungspsychologisch stellt sich somit Begabung als jener Zustand dar, der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt der individuellen Entwicklung (Ontogenese) als Fähigkeits- und Interessenkonstellation manifestiert. Entsprechende Merkmalskombinationen, so die theoretische Annahme, resultieren aus der Wechselwirkung zwischen individuellen Lern- und Leistungsvoraussetzungen (z.B. kognitiven Fähigkeiten) und sozialen Lernumweltbedingungen. In der Psychologie findet "Begabung" sowohl als Beschreibungsbegriff (Fähigkeitskonzept) wie auch als Erklärungsbegriff Verwendung. Dieser Unterscheidung entsprechen zwei alternative Forschungsparadigmen. Der erste (nomologische) Ansatz betrifft psychometrische Untersuchungen, etwa mit Hilfe von Intelligenztests. Damit sollen individuelle Fähigkeitsunterschiede quantifizierend — über die Analyse von Leistungsprodukten — erfaßt werden. Demgegenüber versucht der sog. idiographische Ansatz qualitative Begabungsmuster zu erfassen, etwa unterschiedliche Stadien der Denk- oder Intelligenzentwicklung. Beide Forschungsrichtungen ergänzen sich somit in der Erfassung des Gegenstandes "Begabung" recht gut. Pädagogisch ist noch eine weitere Unterscheidung bedeutsam: das sog. Status- vs. prozeßdiagnostische Vorgehen. Während die psychometrische Bestimmung (Statusdiagnostik) der Begabung auf allgemeine oder differentielle (z.B. sprachliche, numerische, technisch-konstruktive) Fähigkeitsfaktoren abzielt, sollen im kognitionspsychologischen Ansatz u.a. elementare Informationsverarbeitungsprozesse als mentale Bedingungskomponenten der Begabungsaktivitäten erfaßt werden. Obwohl in der gegenwärtigen Diskussion häufig kognitionspsychologische Ansätze gegenüber psychometrischen favorisiert werden, sollte man nicht übersehen, daß beide Forschungsparadigmen in spezifischer Weise zum Erkenntnisgewinn beitragen und somit nicht beliebig zu ersetzen sind. So verspricht man sich von 12

prozeßanalytischen Begabungsuntersuchungen wichtige Aufschlüsse über förderliche vs. hemmende Bedingungsfaktoren der Begabungsentwicklung, während statusdiagnostische (psychometrische) Untersuchungen für Leistungsprognosen oder Eignungsfeststellungen nach wie vor unverzichtbar sein werden. Begabungsdiagnosen erfüllen somit eine wichtige Funktion der individuellen Persönlichkeitsförderung, der Schullaufbahn- bzw. Berufsberatung oder auch der Interventionshilfe im Einzelfall. Weiterhin gehört ^egabiiJD^lzu.den sog^ hypothetischen Konstruktbegriffen, deren Definition vom jeweiligen theoretischen Bezugssystem abhängt. Dies gilt auch für verwandte Begriffe wie Intelligenz oder Kreativität. Solche KonstiuiktbegiUf^ind in der Psychologie sehr beliebt, erhofft man sich doch hiervon Aufschlüsse über persönliche Verhaltensleistungen im Sinne von Kausalfaktoren. So wird etwa eine außergewöhnliche Leistung in Mathematik auf besonders gute quantitative Fähigkeiten der betr. Person zurückgeführt, herausragende Leistungen im Sport auf gute psychom*otorische Fähigkeiten usw. Bei der "Umsetzung" solcher Begabungspotentiale in entsprechende Leistungen sind jedoch — neben kognitiven Voraussetzungen — immer auch motivationale und andere nichtkognitive Personmerkmale sowie soziokulturelle Bedingungsfaktoren mehr oder weniger stark beteiligt. Hieraus wird deutlich, daß sich der Begabungsbegriff auf relativ komplexe Verhaltensphänomene bezieht. In der neueren Begabungsforschung werden mehrdimensionale Begabungskonzepte gegenüber eindimensionalen bevorzugt, weil sie offenbar besser der Realität entsprechen bzw. diese zu erklären vermögen. Diese Feststellung gilt insbesondere auch für Hochbegabungskonzepte (z.B. Renzulli, 1978, 1986; Gardner, 1983; Heller & Hany, 1986; Gagn6, 1985). Zur eingehenderen Information vgl. Heller (1986, 1991), Waldmann & Weinert (1990). Allgemein läßt sichjlochbegabung als individuelles Fähigkeitspotential für Leistungsexzellenz, d.h. herausragende Leistungen in einem oder mehreren Bereich/en, etwa in Mathematik, Physik, Biologie, Medizin, M u sik, Sprachen, Literatur, Kunst oder auch in einem bestimmten Technikfeld, definieren. Auch hier gilt natürlich, daß zum Erreichen von Expertise außergewöhnliche Fähigkeiten zwar notwendig sind, diese aber keine hinreichenden Bedingungen darstellen. Vor allem für anspruchsvolle, komplexe Leistungen sind erworbenes Wissen und somit Lernerfahrungen bzw. (ausreichend genutzte) Lerngelegenheiten, aber auch individuelle Leistungsbe13

reitschaft, Interesse, Ausdauer und hinreichende Arbeitsökonomie erforderlich. Darüber hinaus unterscheiden sich beispielsweise hochbegabte Schüler von durchschnittlich begabten nach den Untersuchungen von Sternberg (1977, 1981, 1985) vor allem in Prozeßkomponenten der Informationsverarbeitung wie Problemerkennung, Planung und Auswahl geeigneter Lösungsschritte und Methoden, zweckmäßige Aufmerksamkeitszuwendung und Ergebniskontrolle. Damit wäre wiederum die Rolle von Denkkompetenzen betont, deren Bedeutung in zahlreichen neueren Untersuchungen bestätigt werden konnte (ausführlicher vgl. Waldmann & Weinert, 1990). Nach dem heutigen Erkenntnisstand verdienen somit komplexe gegenüber eindimensionalen Begabungsmodellen den Vorzug. Diese Forderung bezieht sich sowohl auf die Konzeptualisierung von Begabung bzw. einzelnen Begabungsformen als auch auf deren Messung. Je nach Untersuchungszweck wird man dabei psychometrischen oder kognitionspsychologischen Methodenvarianten den Vorzug geben. Begabungs- oder gar Hochbegabungsdiagnosen auf der (alleinigen) Grundlage von IQ-Messungen finden zumindest im Jugend- und Erwachsenenalter kaum mehr eine Rechtfertigung (Sternberg, 1990; Hany & Heller, 1991b; Mönks, 1991), wenngleich mitunter gegenteilige Positionen zu verteidigen versucht werden (Rost, 1991a/b). Analog sehen viele Forscher im Nachweis bereichsspezifischer Begabungsmuster eine Herausforderung. Andernfalls wäre die Förderung bestimmter Begabungsformen ein zweifelhaftes pädagogisches Unterfangen. Inwieweit darüber hinaus geschlechtsspezifische Einflüsse bei der Aktivierung individueller Begabungspotentiale wirksam sind, soll in diesem Buch — vor allem auf mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Ausbildungs- und Berufsfelder bezogen — näher untersucht werden. Zuvor seien jedoch noch einige weitere Begriffe, die im Kontext unserer Fragestellung Bedeutung erlangen, kurz erläutert. Mathematik: Mathematik gilt als eine der ältesten Wissenschaftsdisziplinen. Sie ist aus den praktischen Aufgaben des Zählens, Rechnens, Messens hervorgegangen. Ihr Begründer war Pythagoras, der eine rationale Auffassung der Natur postulierte. Basierend auf den Gegebenheiten der na-

14

türlichen Erscheinungen ging es ihm darum, einen mathematischen Bauplan der Natur aufzudecken. Beeinflußt durch Problemstellungen in unterschiedlichen Bereichen menschlicher Betätigung (vor allem in Naturwissenschaft und Technik) wird von der ursprünglichen Bedeutung der untersuchten Objekte abstrahiert, so daß sich die innere Gesetzlichkeit als "Wissenschaft von den formalen Systemen" (D. Hilbert) darstellt. Mathematik wird unterteilt in reine Mathematik (Arithmetik, Geometrie, Algebra, Analysis) und angewandte Mathematik, die die Ergebnisse der reinen Mathematik verwertet (Statistik, Physik, Technik) (vgl. Meyers Großes Universallexikon, 1983, 9, S. 186f.). Mathematische Begabung ist bedingt durch eine Vielzahl von spezifischen und allgemeinen Fähigkeitskomponenten. Die Messung eines solch komplexen Gebildes ist deshalb schwierig. Unklar ist vor allem, inwieweit ein hoher Intelligenzquotient mit einer besonderen mathematischen Befähigung korreliert. Aus den verschiedenen methodischen Möglichkeiten hat sich für die Praxis der deskriptive Ansatz von Krutetskii (1976) als praktikabel erwiesen. Er konnte folgende Grundkomponenten

mathematischer

Begabung herausarbeiten (nach Birx, 1988, S. 18): 1. die Fähigkeit zu formalisierter Wahrnehmung mathematischen Materials, d.h. das Erfassen der formalen Struktur eines Problems unter A b straktion des Inhalts; 2. die Fähigkeit zur Verallgemeinerung mathematischen Materials. Ein konkretes Problem wird als Spezialfall eines allgemeinen Problems erkannt; 3. die Fähigkeit zur Verkürzung mathematischer Gedankengänge, d.h. Denken in übergeordneten Strukturen; 4. Beweglichkeit bei geistigen Prozessen, womit leichtes und schnelles Umschalten von einer Denkoperation zur anderen gemeint ist; 5. Umkehrbarkeit im geistigen Prozeß mathematischer Beweise; 6. Streben nach Klarheit, Einfachheit und Eleganz einer Lösung; 7. Gedächtnis für mathematische Verallgemeinerungen. Auf der Grundlage dieser Komponenten wurden Tests entwickelt, mit deren Hilfe (vor allem im schulischen Bereich) mathematische Talente früh entdeckt und damit gefördert werden können. Zur mathematisch-naturwissenschaftlichen Hochbegabung vgl. van der Meer (1985). Naturwissenschaften: Die Bezeichnung "Naturwissenschaft" steht hier als Oberbegriff für verschiedene Diziplinen, die sich mit der systemati15

sehen Erforschung der Natur und ihren gesetzesmäßigen Zusammenhängen befassen. Die exakten Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Astronomie) werden den biologischen Naturwissenschaften (Biologie, Medizin u.a.), die sich mit der belebten Natur bzw. Materie beschäftigen, gegenübergestellt. Ihre Methoden sind Beobachten, Messen, Vergleichen, Zuordnen. Die M a thematik ist ein Hauptwerkzeug der exakten Naturwissenschaften. Neben der Grundlagenforschung hat die angewandte Forschung besondere Bedeutung, da sie die gewonnenen Erkenntnisse dem Menschen allgemein nutzbar macht. Die Naturwissenschaften schaffen somit die theoretischen Voraussetzungen für die Technik und die Medizin. Grundkomponenten naturwissenschaftlicher Begabung sind die Fähigkeit zum Aneignen von Kenntnissen in den naturwissenschaftlichen Teilbereichen, die Fähigkeit zum selbständigen Beobachten, logischen Schließen, exakten Messen und Beschreiben, das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten sowie die Einsicht in die Mathematisierung von Sachverhalten. Da das formal-operationale Denken erst im frühen Erwachsenenalter optimal entwickelt ist (vgl. Montada, 1987), ist die Messung naturwissenschaftlicher Begabung im Jugendalter problematisch. In der schulischen Praxis wird meist die "vorwissenschaftliche technische Begabung" (Lochner, 1988) durch Aufgaben zur Kenntnis- und Verständnisprüfung in den einzelnen Disziplinen der Naturwissenschaft sowie durch Fragebögen zur Erfassung von naturwissenschaftlichen Interessenvariablen erfaßt. Technik: Als Technik bezeichnet man Hilfsmittel und Maßnahmen, die vom Menschen durch genaue Kenntnis der Naturgesetze hergestellt bzw. entwickelt und zur Verbesserung der Lebensbedingungen benutzt werden. Der Zusammenhang zwischen Naturwissenschaften und Technik ist eng: So definiert man Technik auch als die Anwendung und Nutzbarmachung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Informatik, als Wissenschaft von der Grundlage der elektronischen Datenverarbeitungsanlagen und ihrer Anwendung, wird den Ingenieurwissenschaften zugeordnet. Im Gegensatz zur theoretischen Informatik, die sich mit generellen Möglichkeiten von Automaten und künstlichen Systemen beschäftigt, legt die angewandte Informatik ihren Schwerpunkt auf die praktische Anwendung der Datenverarbeitung in verschiedenen Bereichen und die Entwicklung hierfür notwendiger spezieller Programme (Software). 16

Technische Begabung im Sinne einer umfassenden Fähigkeitsdisposition wird als Voraussetzung dafür betrachtet, technische Aufgaben in neuen Kontexten zu lösen. Entsprechend bezeichnet "Technisches Schöpfertum" die "Befähigung zum theoretischen Entwerfen und praktischen Vergegenständlichen technischer Lösungen" (Lochner, 1988, S. 127). Für dieses kreative Lösen technischer Probleme werden zwei Leistungsdispositionen verantwortlich

gemacht:

"Technische

Intelligenz"

im

Sinne

von

"Befähigung zur Bildung, Umstrukturierung und Speicherung technischer Wissensstrukturen" und der "Fähigkeit zur raschen Erkennung der wesentlichen Eigenschaften eines gegebenen Problems in ihren Zusammenhängen" sowie "Technische Kreativität", definiert als die "Befähigung zum Entwickeln, Variieren und Abbilden technischer Lösungsideen" (Lochner, 1988, S. 125f.). Technische Begabung ist abhängig von Technik- bzw. Technologie- und Grundlagenkenntnissen in den einzelnen Naturwissenschaften (z.B. der Physik, Chemie, Informatik) und entwickelt sich somit durch die Auseinandersetzung mit diesen. Tests zur Erfassung technischer Begabung wurden in großer Anzahl entwickelt. Je nach Untersuchungszweck gibt es Testverfahren für die praktisch-handwerkliche Begabung, das physikalisch-technische Verständnis und Problemlösen oder das konstruktiv-erfinderische Denken auf technischem Gebiet.

17

Kapitel 2 Bestandesaufnahme: Wieviele Mädchen entscheiden sich derzeit für eine mathematisch-naturwissenschaftliche oder technische Ausbildung und was leisten sie darin? Schule: In den weiterführenden höheren Schulen sind Mädchen und Jungen heute annähernd gleich stark vertreten. Im Schuljahr 1950/51 waren 31,7% der Abiturienten Mädchen, im Schuljahr 1987/88 lag der Anteil der weiblichen Schulentlassenen mit Hochschulreife bei 50% (Statistisches Bundesamt, 1988a). Die Art der gewählten gymnasialen Ausbildungsrichtung ist jedoch immer noch stark geschlechtsspezifisch: Im Vergleich zu Jungen beendeten 1989/90 in Bayern doppelt soviele Mädchen die Schule mit dem Abitur des neusprachlichen Gymnasiums. Dieses Verhältnis ist bezüglich mathematisch-naturwissenschaflticher

Gymnasien gerade umge-

kehrt. Dort übertrifft die Anzahl der männlichen Abiturienten die der weiblichen um das Doppelte. Dieser Trend zeigt sich auch in der Wahl der Leistungsfächer in der gymnasialen Oberstufe. Tabelle 1: Anteil der Mädchen, die die Abiturprüfung in Bayern bestanden und Ergebnisse aus den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern in die Gesamtqualifikation einbrachten (Angaben in %) Fächer

Grundkurs 1986 1990

Leistungskurs 1986

1990

35,2

35,8 11,2 26,8 66,3

Mathematik Physik

55,5 43,3

56,1 44,7

Chemie

60,0

60,2

8,8 25,4

Biologie

48,7

49,6

64,5

(Telefonische Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus)

Obwohl seit 1986 für Mathematik und die naturwissenschaftlichen Fächer eine ansteigende Tendenz zu beobachten ist, wählen Mädchen im Ver18

gleich zu ihren männlichen Klassenkameraden Mathematik, Physik und Chemie wesentlich seltener als Leistungskursfächer. Diese Beobachtung läßt sich auch in anderen Ländern bestätigen. In Großbritannien wählen 2bis 3mal soviele Jungen Physik in der Schule (Johnson, 1987b). In den U S A ist die Relation in Physik 29% zu 71% und in Informatik sogar 27% zu 72% (ETS, 1988). Diese Interessenunterschiede nehmen mit dem Alter zu und sind besonders stark im Fach Physik ausgeprägt. Bereits in der Sekundarstufe I äußern Mädchen ein deutlich geringeres Interesse an Naturwissenschaften und Technik. Biologie bildet hier eine Ausnahme. Am Ende der Schullaufbahn avanciert Physik für Jungen zu einem der beliebtesten Fächer (Hoffmann & Lehrke, 1986). Mädchen dagegen, die die meisten Unterrichtsfächer insgesamt positiver beurteilen als Jungen, bewerten Physik als das am wenigsten beliebte Fach (Haladyna & Thomas, 1979). In einer Totalerhebung bei 338 Jungen und Mädchen von Spezialschulen mathematisch-naturwissenschaftlicher

Richtung in der ehemaligen D D R

kommt Pollmer (1991) in der Tendenz zu ähnlichen Ergebnissen. Diese Interessenschwerpunkte beeinflussen natürlich auch die Wahl der angestrebten Studienrichtungen. Physik und Informatik sind für Abiturientinnen keine bevorzugten Studienbereiche. Für ihre männlichen Kollegen nehmen Informatik Rangplatz 4 sowie Physik und Astronomie Rangplatz 7 ein (vgl. Tabelle 2). Obwohl Mädchen im allgemeinen in der Schule im Durchschnitt bessere Noten erzielen als Jungen, schneiden sie bei Leistungstests in Mathematik schlechter ab (Benbow & Stanley, 1980a/b; Stanley, 1987; Dauber, 1987 u.a.). Diese Leistungsunterschiede nehmen bei der Gruppe der Hochbegabten noch zu. Bei Jugendlichen, die in einem Test zur Erfassung mathematischer Begabung im Rahmen einer amerikanischen Studie am 50. Prozentrang lagen, betrug das Verhältnis von Jungen zu Mädchen 2:1, am 85 Prozentrang 4:1 und bei den obersten 2% 13:1 (Benbow & Minor, 1986). Diese Ergebnisse sind jedoch methodisch nicht unumstritten (Bellisari, 1989). So hängen die Meßergebnisse davon ab, welches Testverfahren verwendet und welche Art von mathematischer Fähigkeit erfaßt wird. In eirer Hamburger Hochbegabtenstudie zur Mathematik (Birx, 1988) wurden zwir mit dem gleichen Verfahren wie bei Benbow — nämlich dem Scholastic Aptitude Test for Mathematics (SAT-M), der in den U S A sehr beliebt 19

ist — ähnliche Ergebnisse erzielt. Bei einem anderen Test, dem Hamburger Test für mathematische Begabung (HTMB), erreichten jedoch die Mädchen \

höhere Werte als die Jungen. Dieser Test erlaubt mehr Spontaneität und Kreativität als der S A T - M , der eher nach konvergenten, d.h. einheitlichen bzw. eingleisigen Lösungen fragt. Tabelle 2: Gewünschte Studienbereiche von studierwilligen Abiturienten 1990 in der Bundesrepublik Deutschland Studienfach: Abiturientinnen

Rangziffer

%

1 2

11,0 5,3

3 4

Architektur, Innenarchitektur

5 6 7

5,1 5,1 4,9 4,8 4,4

Biologie

8

3,7 2,6

Chemie

11 13

Mathematik

16

Wirtschaftswissenschaften Gestaltung Erziehungswissenschaften Humanmedizin (ohne Zahnmedizin) Sozialwesen Rechtswissenschaft

Maschinenbau/Verfahrenstechnik

Studienfach: Abiturienten

Rangziffer

2,2 1,8 %

1 2

17,6

3 4

12,2 5,3

5 6

3,5 3,3

Physik, Astronomie

7

Architektur, Innenarchitektur

8

3,1 3,0

Maschinenbau/Verfahrenstechnik Wirtschaftswissenschaften Elektrotechnik Informatik Rechtswissenschaften Chemie

13,0

2,6

Biologie

10 13

Mathematik

14

1,7

Bauingenieurwesen

1,9

(Statistisches Bundesamt, 1990)

In der Münchner Längsschnittuntersuchung zur Hochbegabungsentwicklung (Heller, 1990b/c, 1992a), wobei Schüler der 1. bis 13. Klassenstufe erfaßt wurden, bestätigten sich diese Befunde im großen und ganzen. 20

Allerdings schnitten die Mädchen im Sekundarstufenalter hier sowohl in den quantitativen Tests (KFT) als auch in den Mathematikschulnoten schlechter ab als die Jungen. Unterschiede im Leistungsniveau von Mädchen und Jungen wurden auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Alter erforscht. Bis zur 6. oder 7. Klasse gibt es nur geringe, wechselnde Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in Mathematik und den Naturwissenschaften (Malcolm, 1988). Die Leistungen der Jungen verbessern sich aber zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr, und zwar am stärksten im Fach Physik, weniger stark in Mathematik und Chemie. Auch diese Befunde konnten bei deutschen Schülern bestätigt werden (Heller, 1990a/b, 1992a). Der betreffende Lebensabschnitt ist geprägt durch die beginnende Pubertät, in der Geschlechtsrollenausprägungen und -erwartungen große Bedeutung erlangen. Ferner wird die Nützlichkeit von Physikkenntnissen für den Alltag und das Berufsleben von Jungen und Mädchen unterschiedlich bewertet. Mädchen meinen häufig, Physik sei für ihren späteren Beruf nicht wichtig. Sie haben also offensichtlich Einstellungen gegenüber Mathematik und Naturwissenschaften erworben, die es für sie schwierig machen, sich in Fächern zu engagieren, die als männlich dominiert gelten. Studium: Junge Frauen orientieren sich bei der Wahl des Berufes sehr häufig nach der Vereinbarkeit von Familie mit ihrem zukünftigen Beruf. Daß hierbei ihre Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, liegt in erster Linie an der historisch verfestigten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die zur Konzentration auf "typisch weibliche" Tätigkeitsbereiche geführt hat. Berufliche Karriere ist in vielen Wirtschaftszweigen nur möglich mit männlicher Berufsbiographie, d.h. Vollzeitbeschäftigung. Mädchen wählen deshalb Studiengänge, die sich am ehesten mit diskontinuierlichen Berufsverläufen vereinbaren lassen. Denn obwohl der Anteil der Frauen an den Studienanfängern im Sommersemester 1989 knapp 40% betrug, entschieden sich nur 16% aller Abiturientinnen für ein Studium der Ingenieurwissenschaften (Statistisches Bundesamt, 1990). Daß die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in erster Linie auf Kosten der beruflichen Karriere der Frauen geht, zeigen auch die Zahlen zur Studienunterbrechung: Zeiten der Kindererziehung werden von Studentinnen häufig als Unterbrechungsgrund genannt (20%). Für Studenten ist dies kein Anlaß, das Stu21

dium zu unterbrechen (4%); vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1989). Tabelle 3 zeigt den Anteil von weiblichen Studenten und Studienanfängerinnen in einzelnen Fächergruppen im Sommersemerster 1989. Tabelle 3: Deutsche Studenten und Studienanfänger an allen Hochschulen im SS 1989 Fächergruppe Studienbereich

Sprach- und Kulturwissenschaften Rechts-, Wirtschafts-,Sozialwissenschaften

Studenten insgesamt Anzahl

252197

darunter weibl.

davon

Studienanfänger

weibl.in %

in %

61.9 39.4 34.7

57.8 37.6 39.6

6039 31401

47.4

48.0

58.4

56.6

207197

31.5

36.2

Mathematik, Statistik

25811

34.1

33.4

Informatik

40080

14.7

16.7

Physik, Astronomie

31499

9.6

10.6

Chemie Biologie

35472 35978

Geowissenschaften Geographie Ingenieurwiss. insgesamt darunter:

10709 15518

Human-, Zahn-,Veterinärmedizin Agrar-,Forst-,Ernährungswissenschaften Künste und Kunstwissenschaften Mathematik und Naturwiss. insgesamt

377903 98094

darunter:

Maschinenbau/Verfahrenstechnik

264618

28.6

31.0

52.8 26.4 44.5 12.5

47.9 34.8 38.3 16.0 15.1

115663

8.7

Elektrotechnik

74050

3.1

4.5

Architektur, Innenarchitektur

39109

40.1

47.3

(Statistisches Bundesamt, 1989, und eigene Berechnungen)

Von Frauen absolut am stärksten besetzte Studienfächer im Sommersemester 1989 waren Medizin, gefolgt von Betriebswirtschaftslehre und Germanistik. Der relativ hohe Prozentsatz weiblicher Studierender in Chemie ist nach Metz-Göckel (1988) darauf zurückzuführen, daß viele Chemiestudentinnen im präferierten Fach Pharmazie keinen Studienplatz erhielten und deshalb auf Chemie auswichen. Die größte Anzahl der Männer studierte Betriebswirtschaft, gefolgt von Maschinenbau und Elektrotechnik (Statistisches Bundesamt, 1989). Der internationale Vergleich zeigt, daß 22

die niedrigere Beteiligung der Frauen an den zuletzt genannten Fächern kaum auf geringere intellektuelle Leistungsfähigkeit zurückgeführt werden kann. So wählten im Jahr 1988 37% der weiblichen High School-Absolventen Computer/Informatik als Hauptfach (ETS, 1988). Ein ähnlich hoher A n teil von Frauen, nämlich ein Drittel, studierte das Fach Technik in den 70er Jahren in der ehemaligen DDR, und in der UdSSR lag ihr Anteil bei 50% (Schiersmann, 1987; Volprich, 1991). In diesem Zusammenhang wird vermutet, daß nicht Technikscheu, son- ""j dem spezifische Zugangsweisen das Verhältnis von Frauen zur Technik charakterisieren (Schiersmann, 1987). So haben Frauen eine stärker anwendungsbezogene und zweckorientierte Haltung. Sie sehen beispielsweise den Computer weniger als Selbstzweck und beurteilen seine Möglichkeiten nüchterner. Es besteht deshalb der Verdacht, daß die Lernkonzepte sowohl der Schule als auch der Universitäten diese unterschiedlichen spezifischen Zugangsweisen nicht genügend berücksichtigen (Bundesminister für B i l dung und Wissenschaft, 1990c, S. 49). Diese Vermutungen werden durch eine Studie, erstellt an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, erhärtet (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1991b). Es wurde festgestellt, "daß Informatikerinnen theoretische Themen und Fachinhalte, die durch eher offene Lösungsmöglichkeiten geprägt sind, sowie breitere, interdisziplinäre, im sozialen Kontext stehende Gebiete bevorzugen" (S. 132). Die theoretische Einordnung, Anwendung und Einbindung in interdisziplinäre Zusammenhänge werde jedoch üblicherweise erst im Hauptstudium behandelt. Zu Beginn des Informatikstudiums würden dagegen vor allem Veranstaltungen zur Programmierung angeboten, was eher den männlichen Interessen entgegen komme. Die Autorinnen empfehlen daher, "die "Theorieneigung" und die — vermuteten — besonderen Zugangsweisen von Frauen im Problemlösungsprozeß bei der Gestaltung der Studien- und Prüfungsordnung zu berücksichtigen, eine Studienwahlberatung und Studienbetreuung für Frauen vorzusehen sowie spezielle Arbeitsgruppen für Frauen und spezielle Arbeitsgruppen zu frauenspezifischen Themen einzurichten" (S. 132). Berufsausbildung: Die Qualität der Berufsausbildung hat entscheidenden Einfluß auf den weiteren Verlauf der Karriere. Trotz Angleichung der schulischen Vorbildung bestehen große Unterschiede zwischen jungen 23

Frauen und Männern bezüglich der Ausbildungsart und -Situation. Die schulische Berufsausbildung wählten ein Drittel der Mädchen, und ihr Anteil an den ein- und zweijährigen Berufsfachschulen beträgt zwei Drittel. 1988 entschieden sich 94% der Schülerinnen für die Fachrichtung Sozialund Erziehungsberufe und 88% für Gesundheitsberufe. Nur 15% bei den Angehörigen der Fertigungsberufe sind weiblich (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 1990). Neben dem Nachteil, daß bei der schulischen Ausbildung keine Vergütung bezahlt wird, hat dieser Abschluß häufig geringeren Marktwert. Auch die betriebliche Ausbildung der Mädchen konzentriert sich auf wenige Ausbildungsberufe. 1988 wurde ein Drittel der Mädchen in nur fünf Berufen, nämlich als Bürokauffrau, Friseuse, Verkäuferin, Arzthelferin und _

Kauffrau ausgebildet (Statistisches Bundesamt, 1988b). Betrachtet man die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit weiblicher Jugendlicher seit Jahren höher ist als die entsprechende Quote männlicher Jugendlicher, liegt der Verdacht nahe, daß sich die Mädchen den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes anpassen. Dafür sprechen auch neuere Untersuchungen, die zeigen, daß sich die berufliche Orientierung bei jungen Frauen erst ab der 7. Schul-

> klasse auf wenige Berufe einschränkt (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1986a). Die Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, sind für Mädchen in einem "Frauenberuf realistischer, wo sie sich nicht ständig mit Vorurteilen auseinandersetzen müssen. Sie befinden sich hier im Flinklang mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen und der Segmentierung des Arbeitsmarktes: Jungen Frauen stehen vor allem jene Berufe offen, die eine kürzere Ausbildungszeit benötigen — 90% der zweijährigen Ausbildungsverträge werden von Frauen abgeschlossen (Bundesanstalt für Arbeit, 1987) — und kaum Aufstiegsmöglichkeiten, geringeres Einkommen und ein höheres Beschäftigungsrisiko bieten. Die schlechtere Qualifikation führt dazu, daß seit Jahren der weibliche Anteil an Bewerbern für Berufsausbildungsstellen, die vom Arbeitsamt nicht vermittelt werden können, deutlich über der Anzahl der nicht vermittlungsfähigen männlichen Bewerber liegt (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1990d). Und obwohl der Bundesbildungsminister "in den attraktiven und chancenreichen technikorientierten Berufen" (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1990c, S. 29ff.) Chancengleichheit für Jungen und Mädchen anstrebt, berichtet die Bundesanstalt für Arbeit, daß Mädchen, die ihre be24

triebliche Ausbildung in einem "Männerberuf" abgeschlossen haben, seltener ein Übernahmeangebot erhielten und häufiger den Ausbildungsbetrieb verließen, sowohl im Vergleich zu Jungen im gleichen Berufsbereich, als auch gegenüber Mädchen in "Frauenberufen". Darüber hinaus waren sie nach der Ausbildung viermal so häufig erwerbslos wie Jungen in "Männerberufen" (16% zu 4%) (Bund-Länder-Kommission, 1989). Tabelle 4: Auszubildende 1988 in ausgewählten Berufen Berufsbereich

Frauen

Insgesamt

Berufsgruppe

Anzahl

%

Anzahl

%

Dienstleistungsberufe

788041

47.5

592192

75.1

71434

4.3

50.5

225144

13.6

36089 172950

61922

3.7

93.6

Bank- und Versicherungskaufleute Bürofach- und Bürohilfskräfte Körperpfleger

76.8

76135

4.6

57989 76027

224763

13.6

159784

71.1

776406 145880

46.8

78904

10.2

8.8

5031

3.4

Feinblechner, Installateure Maler, Lackierer und verwandte Berufe

55375 33447

3.3

565

2.0

1.0 9.6

Maurer, Betonbauer

19197

1.2

3219 73

7.4

3487

2.8

757

4.7

Übrige Gesundheitsdienstberufe Warenkaufleute Fertigungsberufe Elektriker

Mechaniker

99.9

0.4

Metallverformer (spannend)

123431 16101

vSchlosser

108113

1.0 6.5

1573

1.5

Tischler, Modellbauer

38975

2.4

3484

8.9

Werkzeugmacher

28683

1.7

891

3.1

Zimmerer, Dachdecker, Gerüstbauer

13821

0.8

140

1.0

(Statistisches Bundesamt, 1988b)

Andererseits zeigen Mädchen in "Männerberufen" eine hohe Identifikation mit ihrem Beruf und planen häufiger (22%) eine berufliche Weiterbildung als Frauen in "Frauenberufen" (Bund-Länder-Kommission, 1989). Der Anteil der weiblichen Teilnehmer mit bestandener Abschlußprüfung war 1988 in den Fertigungsberufen mit insgesamt 90.8% etwas höher als der Anteil ihrer männlichen Kollegen (87.8%). Unter den in Tabelle 4 genannten Berufsgruppen bestanden lediglich die Prüfung zum Schlosser die Jungen häufiger (91.3%) als ihre Mitbewerberinnen (87.7%) (Statistisches Bundesamt, 1988b). Auch jene Betriebe, die an dem Modellversuch "Er25

Schließung gewerblich-technischer Ausbildungsberufe für Mädchen" teilgenommen hatten, äußerten sich über die Facharbeiterinnen bzw. Gesellinnen positiv. Insbesondere die Leistungsbereitschaft, das Leistungsvermögen, die Zuverlässigkeit und die starke berufliche Orientierung wurden hervorgehoben. Die Kammerprüfung haben über 98% bestanden (Bundesanstalt für Arbeit, 1987). Vgl. hierzu auch Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1991a). Tabelle 4 gibt einen Überblick über die Berufe, die von jungen Frauen sehr oft bzw. sehr selten gewählt werden. Beruf: Die Berufspraxis der Frauen wird durch die Erfahrungen des weiblichen Lebenszusammenhangs geprägt. Die Arbeit in der Familie verlangt Verhaltensweisen wie Geduld, Zuwendung und Einfühlungsvermögen. Deshalb personalisieren Frauen häufig auch ihre Arbeitssituation und legen Wert auf soziale Kontakte. Für eine Erwerbsarbeit aber sind Sachlichkeit, Effektivität und Konkurrenzdenken wesentliche Einstellungen. Dies gilt insbesondere auch für Technikberufe, die nach wie vor eine Männerdomäne darstellen und im Vergleich zu vielen anderen Arbeitsplätzen vor allem in bezug auf Qualifikations- und Einkommensniveau bevorzugt sind. Der Anteil an allen Erwerbstätigen mit Hochschulabschluß Maschinenbau liegt beispielsweise bei 2,1%, wovon der Anteil der Frauen nur 1% beträgt. Den Beruf des Physikers und Mathematikers üben jeweils 2% aller Erwerbstätigen aus. Der Anteil der Frauen in diesen Berufen liegt bei 8% bzw. 22% (Bund-Länder-Kommission, 1989). Insgesamt sind zur Zeit gut 10 M i o . Frauen in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätig, das sind 39% aller Erwerbstätigen. Die berufliche Qualifikation der Frauen unterscheidet sich vor allem in den Funktionsstellen von der der Männer. 1985 hatten 52% einen Lehrabschluß (gegenüber 53,9% der erwerbstätigen Männer) und 7% (11,4%) ein Studium an einer Fachhoch-/Hochschule abgeschlossen. Die Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigen ist bezüglich des Besuchs der Meister- und Technikerschulen am deutlichsten (3,5% Frauen im Vergleich zu 9,8% Männer). Von allen Branchen ist der Frauenanteil im Gesundheitswesen am höchsten (81%). Jede fünfte aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten 1989). 26

Frauen arbeitet im Handel (Bund-Länder-Kommission,

Aber auch bei gleicher Qualifikation haben es Frauen schwerer, eine Arbeitsstelle in "Männerberufen" zu bekommen. Nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung werden weibliche Fachkräfte in Stellenanzeigen nicht motiviert, sich in diesen Berufen zu bewerben: In 2300 ausgewerteten Anzeigen waren lediglich 19% der Stellenanzeigen geschlechtsneutral formuliert. Im Handwerk wurden zu 49% nur Männer angesprochen, im Industriebereich waren es sogar 80%. Frauen werden in erster Linie für Teilzeitarbeit gesucht, wobei für 25% der Stellenangebote die arbeitsvertragliche Stundenzahl unterhalb der Sozialversicherungsgrenze lag (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1991b, S. 123). Tabelle 5: Hauptberufliches Personal an Hochschulen 1988 Fächergruppe

wissenschaftl. und davon Anteil Frauen in %

Lehr- und Forschungsbereich

künstler. Personal insgesamt

Sprach- und Kulturwissenschaften Sport

Professo-

Dozentinnen

rinnen

Assistentinnen

13775

8.6

800

8.5

Rechts-, Wirtschafts-, Sozialwiss.

12375 23886

7.5 2.0

14.3

Mathematik, Naturwissenschaften Humanmedizin

21414

4.1

13.8

974

4.5

9.4

2693

5.9

15.7

Veterinärmedizin Agrar-, Forst-, Ernährungswiss. Ingenieurwissenschaften Kunst, Kunstwissenschaft Zentrale Einrichtungen

19.5 18.7 9.5

17502

0.9

3.0

3221 5416

14.1

34.1

7.2

11.8

(Statistisches Bundesamt, 1990, und eigene Berechnungen)

Auch im Wissenschaftsbetrieb sind die Frauen unterrepräsentiert. Eine Broschüre des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft konstatiert folgendes: "Zugelassen sind Frauen zum Universitätsstudium schon seit Beginn des Jahrhunderts, 1923 wurden die ersten Professorinnen ernannt. Aber von gleichen Karrierechancen für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kann auch am Ende dieses Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Zwar sind inzwischen immerhin 38% der Studierenden Studentinnen, aber ihre Aufstiegschancen im Wissenschaftsbetrieb sind ziemlich schlecht. Nur 5% der Professoren sind Frauen, in der Gruppe der C4 Professoren liegt der Anteil der Frauen gerade noch über 2%" (Bundesminister 27

für Bildung und Wissenschaft, 1990c, S. 107). Tabelle 5 zeigt die Verteilung auf die einzelnen Fakultäten. Als Ursachen für den geringen weiblichen Anteil am wissenschaftlichen Personal können kaum geschlechtsspezifische Begabungsunterschiede verantwortlich gemacht werden. Vielmehr erschwert eine Reihe personinterner (z.B. motivationaler) und externer (z.B. organisatorischer) Faktoren die wissenschaftliche Karriere von Frauen. Hinzukommt, daß Frauen ihr Studium meist breiter anlegen, indem sie häufig mehr als nur ein Fach studieren, was zur Verzögerung von Abschlüssen führen kann. Vielfach genannt, wenn auch schwierig zu belegen, wird ein weiterer Grund für die Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen in den universitären Spitzenpositionen: mangelnde Unterstützung und Förderung der Frauen durch Professoren. Eine Studie, durchgeführt an der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule Aachen ergab jedenfalls, daß 70% der befragten Wissenschaftlerinnen ihre Stelle durch die Betreuung bzw. Vermittlung der Dozentinnen und Dozenten erhalten hatten. "Dies rechtfertigt die Annahme, daß sich der Frauenanteil unter den Nachwuchswissenschaftlern durch gezielte Förderung von Seiten des Lehrpersonals wesentlich erhöhen ließe" (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1991b, S. 132). Unbestritten dürfte die historische Verspätung im Studienzugang und der damit verbundene generationsmäßige Statusvorteil der Männer, nicht zuletzt in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Lehrkörpern, eine wesentliche Rolle dabei spielen. Aber auch starre Hochschulstrukturen, die es gerade in diesen Forschungsbereichen nicht erlauben, wegen Kindern die Berufskarriere zu unterbrechen, machen Aufstieg und Ehe hier nahezu unvereinbar. Das Verhältnis von ledigen Professorinnen zu ledigen Professoren betrug nach einer Untersuchung der Universität Oldenburg 10:1. Und 57% der Professorinnen, die geheiratet haben, sind geschieden (18% der Männer); (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1990c, S. 107). Solche Zahlen deuten möglicherweise eine stärkere Belastung und geringere soziale Unterstützung der Frauen gegenüber Männern in bestimmten Wissenschaftsbereichen an. Deren Ursachen sind sowohl in den äußeren Bedingungen als auch in subjektiven Motivations- und Interessenlagen, mitunter wohl auch in sozialen Vorurteilen zu suchen. Wir werden hierauf in Teil II ausführlicher zurückkommen. Ergänzend vgl. noch Wieczerkowski & Prado (1990), Hannover (1991), Heister (1991) u.a. 28

Kapitel 3 Stand der Forschung: Gibt es kognitive Geschlechtsunterschiede? Die Tatsache, daß nur wenige Mädchen und junge Frauen sich für eine Ausbildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich entscheiden, hat in den vergangenen Jahren viele Untersuchungen veranlaßt, das intellektuelle Leistungsvermögen von Frauen und Männern durch verschiedene Testmethoden zu erfassen und zu vergleichen. Man versuchte herauszufinden, ob das geringe Interesse der Frauen an mathematisch-naturwissenschaftlichen Problemen durch geschlechtsspezifische intellektuelle Fähigkeiten zu erklären sei. Bezüglich der allgemeinen intellektuellen Leistungsfähigkeit, d.h. der Fähigkeit zum logischen Denken, zum Problemlösen oder aus Erfahrungen zu lernen, wurden keine Geschlechtsunterschiede festgestellt. A b frühester Kindheit findet sich eine hohe Übereinstimmung in den Fähigkeiten des Lernens und des Gedächtnisses zwischen Mädchen und Jungen (Maccoby & Jacklin, 1974). Bei Intelligenztests (IQ-Messungen) erzielen Frauen und Männer gleiche Durchschnittswerte, d.h. es wurden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Intelligenzniveau gemessen (Eysenck, 1986). Beide Geschlechter verfügen über vergleichbare allgemeine kognitive Fähigkeiten (Srocke, 1989). Eine systematische Zusammenstellung der Veröffentlichungen bis zum Jahre 1974 bezüglich geschlechtsspezifischer Unterschiede der mathematischen Fähigkeiten veranlaßte Maccoby & Jacklin (1974) zu dem Schluß, daß Jungen ab dem Alter von 12 bis 13 Jahren im Durchschnitt bessere Resultate in den entsprechenden Tests aufweisen. Hyde (1981), die die von Maccoby & Jacklin zitierten Studien mit Hilfe der statistischen Metaanalyse neu ausgewertet hat, konnte jedoch zeigen, daß dieses Ergebnis teilweise durch unterschiedlichen Umfang der Stichproben zustande kam. Die Metaanalyse ist eine statistische Methode, um mehrere zu einem bestimmten Thema durchgeführte Untersuchungen systematisch zu vergleichen. Dabei wird für jede Studie ein Wert (die sog. Effektstärke) ermittelt, der aussagt, wie stark das Ausmaß des betrachteten Phänomens ist. Hyde errechnete hier den relativen Unterschied zwischen den ermittelten Größen der untersuchten Gruppe und ei-

29

ner Kontrollgruppe. Durch Berücksichtigung der Größe der jeweiligen Versuchsgruppe wurden die einzelnen Studien gewichtet. Zur hier verwendeten Methode der Metaanalyse vgl. ausführlicher Beerman & Heller (1990) sowie Rosenthal (1984), Schwarzer (1989), Schwarzer & Leppin (1989) u.a.

Aufgrund dieser Metaanalyse kam Hyde zu dem Ergebnis, daß zwar tatsächlich ein Unterschied in den mathematischen Leistungen zugunsten der Jungen feststellbar ist, daß sich dieser jedoch als nicht so gravierend darstellt, wie von Maccoby & Jacklin behauptet: Eine Kombination von 27 bzw. 16 Einzelstudien ergab, daß Jungen vor allem bei den quantitativen Kompetenzen (z.B. Bearbeitung einfacher Rechenaufgaben, Schätzen von Größen oder Wahrscheinlichkeiten) höhere Werte erzielen, wogegen Mädchen bei den verbalen Testaufgaben besser abschneiden. Ähnliche Tendenzen wurden auch durch andere Metaanalysen (Feingold, 1988) oder in neueren Studien (Heller, 1990c, 1991b) gefunden. Danach zeigten Mädchen der 8. bis 12. Klasse bessere Ergebnisse bei der Rechtschreibung und der Wahrnehmungsgeschwindigkeit. Diese Unterschiede sind in allen Altersgruppen und über alle Untersuchungsjahre hinweg beobachtbar, sie werden allerdings mit zunehmendem Alter der Mädchen und Jungen geringer. Auch wurde festgestellt, daß die Unterschiede im Laufe der letzten Jahrzehnte (von 1947 bis 1980) kleiner geworden waren. Im Bereich des mechanischen Denkens und der räumlichen Beziehungen dagegen übertreffen die Jungen die gleichaltrigen Mädchen, und diese Unterschiede vergrößern sich mit zunehmendem Alter. Auffällig werden diese Leistungsdifferenzen zwischen dem 13. und 16. Lebensjahr (Halpern, 1986), wobei auch hier die Größe der Differenz zwischen Mädchen und Jungen von 1947 bis 1980 abnahm (Epochaleffekt). Keine Geschlechtsunterschiede wurden im verbalen und abstrakten Denken sowie in der numerischen Begabung gefunden. Neuere Untersuchungen konnten diese Befunde jedoch nur teilweise replizieren. Eine Übersicht über die wichtigsten Studien bis zum Jahr 1985 (Stage, Kreinberg, Eccles & Becker, 1985) ergab, daß Jungen im Grundschulalter etwas bessere Ergebnisse bei Testaufgaben zum mathematischen Problemlösen erzielen, während keine Unterschiede bezüglich Algebra und mathematischem Grundwissen bestehen. Rechenmethodische

Aufgaben

lösen dagegen Mädchen besser als gleichaltrige Jungen. Diese Ergebnisse stimmen mit der zweiten von Hyde und Kollegen er30

stellten Metaanalyse überein. Diese umfaßte 100 Einzelstudien mit dem Ziel, die 1981 beobachteten Resultate mit neueren Forschungsergebnissen zu vergleichen (Hyde, Fennema & Lamon, 1990). Auch hier wurden keine Unterschiede bezüglich des Verständnisses von mathematischen Konzepten festgestellt. Jungen sind besser bei Problemlöseaufgaben, und Mädchen schneiden besser bei Rechenaufgaben ab. Diese Unterschiede treten ab dem Alter von 14 Jahren auf. Vorher sind die Leistungen weitgehend vergleichbar. Diese Resultate widersprechen der 1981 gemachten Aussage, wonach Jungen bessere quantitative Fähigkeiten besitzen sollen. Hyde et al. erklären diese unterschiedlichen Beobachtungen mit der Verbesserung der Metaanalyse und der Einseitigkeit der 1981 einbezogenen Forschungsstudien. Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser zweiten Metaanalyse von Hyde und Kollegen ist die Tatsache, daß die Mathematikbefähigung abhängig ist vom Alter und vom kognitiven Niveau der Schüler. Die Leistungsunterschiede treten erst innerhalb höherer Schulstufen auf und waren am höchsten für mathematisch Hochbegabte. Diese Ergebnisse erlauben auch, die vieldiskutierten Resultate der Studie von Benbow & Stanley (1980a/b, 1983) über mathematisch begabte Jugendliche in den U S A neu zu interpretieren: Seit 1971 wird an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA, ein Programm durchgeführt, um mathematisch talentierte Jugendliche zu identifizieren und damit ihre Förderung möglich zu machen. Dazu wird ein Test verwendet, der S A T - M (Scholastic Aptitude Test for Mathematics), der ursprünglich für 17- bis 18jährige Schüler als College-Aufnahmetest konzipiert war. Dieser Test wird seit 1971 jährlich 12- bis 13jährigen Jugendlichen vorgelegt, die von ihrer Schule als mathematisch besonders begabt eingestuft worden waren. Benbow & Stanley betreuten diese Tests von 1972 bis 1982 und werteten sie aus (1980a/b, 1981, 1982b, 1983; vgl. auch Brody, 1987; Dauber, 1987; Lupkowski, 1987; Stanley, 1987). Aus der Tatsache, daß die Jungen konstant bessere Leistungen erbrachten als die Mädchen, schlössen Benbow & Stanley auf angeborene geschlechtsabhängige Unterschiede bezüglich mathematischer Leistungsfähigkeit zugunsten der Jungen. Die Differenzen waren bei der Gruppe der Hochbegabten am stärksten ausgeprägt. Diese Ergebnisse wurden in den Medien als biologisch bedingte Geschlechtsunterschiede im kognitiven Leistungsvermögen kom31

mentiert und führten oft zu einer unkritischen Akzeptanz außerhalb der Sozialwissenschaften. Da es sich nämlich bei der Gruppe der Hochbegabten um einen sehr geringen Anteil (268 Jungen und 23 Mädchen) einer sehr großen Stichprobe (fast 50.000 Schüler und Schülerinnen) handelte, sind diese Werte nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Die Metaanalyse von Hyde, Fennema & Lamon

(1990) ergab denn auch, daß für die

Gesamtbevölkerung die Geschlechtsunterschiede bezüglich der mathematischen Leistungsfähigkeit annähernd null sind. Umstritten ist inzwischen auch, ob der S A T - M überhaupt geeignet ist, anlagebedingte mathematische Fähigkeiten zu erfassen. Die Mitarbeiter des ETS (Educational Testing Service) in Princeton, die jährlich die Ergebnisse des

SAT-M

als Collegeaufnahmeprüfung

veröffentlichen,

behaupten

jedenfalls nicht mehr, daß dieser Test angeborenes mathematisches Talent messe. Interessant ist auch die Beobachtung, wonach sich die Geschlechtsunterschiede im Laufe des Untersuchungszeitraumes verringert haben. Eine mögliche Erklärung für diesen epochalen Trend ist in der Testentwicklung zu suchen: In den letzten Jahren hat man das Problem der Testfairneß stärker berücksichtigt, d.h. es wurde versucht, die Testaufgaben geschlcchtsneutral zu formulieren, um die Testvoraussetzungen für Mädchen und Jungen anzugleichen. Zum Problem der Testfairneß vgl. Heller (1991a, S.90ff.) So begünstigen z.B. die Testbedingungen des S A T - M die Jungen. Die Metaanalyse von Hyde et al. (1990) zeigt, daß die Ergebnisse unterschiedlich ausfallende nach dem ob man die Studien, die mit dem S A T - M durchgeführt wurden, in die Datenanalyse miteinbezieht oder nicht. Schließt man den S A T - M aus, so verringern sich die festgestellten Unterschiede. Hyde kommt deshalb zu dem Schluß, daß der SAT die männlichen Jugendlichen begünstige. Als Begründung verweist sie auf die Tatsache, daß die Gruppe der männlichen Jugendlichen stärker selektiert ist, da die Rate der Jungen, die in der High School ausscheiden und deshalb diesen Test nicht mitmachen, wesentlich höher ist als die der Mädchen. Das bedeutet, daß unter den Teilnehmern die entscheidende Auslese der Jungen schon vor dem Test stattgefunden hat. Als weitere Begründung führt die Autorin an, daß die (selektierten) männlichen Jugendlichen einen besseren sozialen Status aufweisen und damit mehr Unterstützung von den Eltern beim Erwerb 32

außerschulischer Erfahrungen erhalten. Insofern wäre die Testgruppe also nicht repräsentativ, d.h. kein Abbild der Gesamtbevölkerung. Bellisari (1989) nennt noch einen weiteren wesentlichen Faktor: Die Teilnehmer dieses Tests werden nicht zufällig ausgewählt, sondern melden sich freiwillig zur Teilnahme. Es ist aber bekannt, daß Mädchen weniger gern freiwillig an zeitlich begrenzten Wettbewerben teilnehmen als Jungen. Informationen über jene Schüler und Schülerinnen, die von ihrem Leistungsniveau her für den S A T geeignet wären, sich aber für eine Teilnahme nicht entscheiden, werden von der Baltimore-Gruppe um Stanley und Benbow nicht gegeben. Eine kürzlich veröffentlichte Studie mit hochbegabten Jugendlichen, die von Goldstein et al. (1990) an der Duke Universität in North Carolina (USA) erstellt wurde, weist auf einen weiteren interessanten Befund hin. Demnach schneiden die Mädchen ebenso gut ab wie die Jungen, wenn man ihnen bei der Aufgabenlösung mathematischer Probleme mehr Zeit läßt. Eine ähnliche Beobachtung wurde auch bei einer Osnabrücker Studie zum mathematischen Verständnis und zur algorithmischen Begriffsbildung bei Mädchen gemacht (Metz-Göckel, 1987; Metz-Göekel, Frohnen, HahnMausbach & Kauermann-Walter, 1991). Bei der Beobachtung von 30 Schülern und Schülerinnen per Videokamera während der Lösung von M a thematikaufgaben

zeigte sich, daß Jungen schneller an eine Aufgabe

herangehen, mehr ausprobieren, während Mädchen länger überlegen und vorher versuchen, die Struktur zu erkennen. Das geringere Interesse der Mädchen für Mathematik und Naturwissenschaften wird immer wieder im Zusammenhang mit der Beobachtung eines unterschiedlichen räumlichen Vorstellungsvermögens der Mädchen im Vergleich zu Jungen diskutiert. Räumliche Wahrnehmung oder Vorstellung wird in entsprechenden Untersuchungen als Fähigkeit, Objekte im Vorstellungsraum zu manipulieren, oder als Qualität des Orientierungssinns u.a. operationalisiert, d.h. definiert und gemessen. Zwischen 1974 und 1982 sind zu diesem Thema insgesamt 172 Studien entstanden. Diese wurden wiederum durch Metaanalysen vergleichbar gemacht (Linn & Petersen, 1985). Dabei wurden Unterschiede zugunsten der Jungen bestätigt, die nach Art und Weise der Testaufgaben unterschiedlich groß sind. Auch in Deutschland wurden Metaanalysen vorgenommen, um festzu33

stellen, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede im räumlichen Vorstellungsvermögen gibt (Stumpf & Klieme, 1989). Dazu wurden Tests für Medizinische Studiengänge herangezogen und die betr. Aufgaben zum räumlichen Denken geschlechtsspezifisch analysiert. Zwischen M a i 1978 und November 1988 fanden 18 Untersuchungen mit 172.000 Abiturienten statt. Auf dieser Datenbasis wurde eine Metaanalyse durchgeführt. Es zeigte sich ein klarer epochaler Trend zum Abbau geschlechtsspezifischer Leistungsunterschiede bezüglich des räumlichen Vorstellungsvermögens. Während bei der Merkfähigkeit für verbales Material Frauen einen Leistungsvorsprung zeigten, schnitten männliche Jugendliche besser ab bei arithmetischen Sachaufgaben, zumeist mit proportionalem Denken in naturwissenschaftlichen Kontexten. Die geringsten Geschlechtsunterschiede waren dann zu beobachten, wenn formallogisches und kombinatorisches Denken im Vordergrund standen. Offensichtlich haben junge Frauen bei anwendungsorientierten Aufgabenstellungen — im hier gemessenen Inhaltsbereich — mehr Probleme als männliche Jugendliche, was durch mangelnde spezifische Erfahrungen der Mädchen erklärt wird (Liben & Golbeck, 1984). Der Grundgedanke dieser Studien, wonach die Fähigkeit zur räumlichen Vorstellung wesentlich für eine erfolgreiche Beschäftigung mit Mathematik, Technik und Naturwissenschaften ist, wurde jedoch bis heute nicht hinreichend empirisch bestätigt. Gutes räumliches Vorstellungsvermögen bedingt nicht notwendig auch gute Leistungen in Mathematik. Und Geschlechtsunterschiede im räumlichen Denken können nicht die Interessenunterschiede für Mathematik und Naturwissenschaft erklären (vgl. Linn & Pulos, 1983). Keine Untersuchung konnte bisher überzeugend mathematische Leistungen durch räumliche

Fähigkeitsindikatoren

vorhersagen

(Chipman & Wilson, 1985). Unklar ist auch die Frage, ob das räumliche Vorstellungsvermögen trainierbar ist. Gute Übungserfolge erbrachte eine Studie von Connor & Serbin (1985), wodurch die These von der angeborenen besseren räumlichen Vorstellungskraft der Männer abermals in Frage gestellt wird. Auch hier zeigte sich wieder, daß der Erfolg stark abhängig war von den verwendeten Aufgaben. In diesem Zusammenhang ist noch die Tatsache von Bedeutung, daß Frauen im angesprochenen Bereich im allgemeinen langsamer und sorgfältiger arbeiten (Maccoby & Jacklin, 1974). Ferner haben sie oft weniger Zu34

versieht in ihre Fähigkeiten zur räumlichen Vorstellung, was in Verbindung mit dem größeren Zeitaufwand von Mädchen gebracht wird. Läßt man ihnen genügend Zeit, so sind sie ebensogut bei der Aufgabenlösung von Objektmanipulationen im Raum (spatial rotation tasks), bei denen sie bisher ihren männlichen Kollegen immer unterlegen waren (Goldstein et al., 1990). Zusammenfassend ist festzuhalten, daß zwar Leistungsunterschiede bezüglich mathematischer Fähigkeiten zwischen Jungen und Mädchen öfters beobachtet wurden, die Untersuchungsergebnisse der letzten zwanzig Jahre jedoch keineswegs einheitlich und vor allem die Meßmethoden bzw. Tests häufiger umstritten sind. Auch durch neuere Befragungsstudien im Kontext sozialwissenschaftlicher oder bildungspolitischer Erhebungen konnte das geringe Interesse der Mädchen und jungen Frauen für naturwissenschaftliche und technische Ausbildungen und Berufe bisher nicht zufriedenstellend erklärt werden. Sind die Ursachen hierfür anderswo zu suchen? Hierauf sollen im folgenden vom Standtpunkt unterschiedlicher Forschungsparadigmen, vorab im sozialwissenschaftlichen bzw. psychologischen Kontext, Antworten versucht werden. Letztlich spitzt sich die zentrale Frage auf die neuerdings wieder stärker in den Vordergrund gerückte Dichotomie "Nature and Nurture" zu (vgl. Wieczerkowski & Prado, 1990), die das alte Thema "Anlage und Umwelt" auf eine aktuellere Diskussionsebene zu rücken versucht. Zur Entwicklung geschlechtsspezifischer Differenzen aus biologischer und psychologischer Sicht vgl. noch Merz (1979), Wellner & Brodda (1979), Eccles (1982), Deaux (1984, 1985), Feger (1987, 1988), Shaver & Hendrick (1987), Krampen et al. (1990), Stapf (1990) u.a.

35

Teil II Erklärungsversuche für geschlechtsspezifische Unterschiede von Interesse und Begabung im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik Die bisherige Bestandsaufnahme hat gezeigt, daß Mädchen und Frauen in naturwissenschaftlich-technisch orientierten Ausbildungsgängen und Berufen stark unterrepräsentiert sind. Daß diese Tatsache nicht durch ein geringeres intellektuelles Leistungsvermögen der jungen Frauen erklärt werden kann, legen zahlreiche neuere sozial wissenschaftliche Erhebungen nahe. Eine befriedigende, eindeutige Erklärung für die beobachteten Präferenzen bzw. Disparitäten in bezug auf die schulische Kursteilnahme in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik sowie die Studien-, Ausbildungsund Berufswahl erlauben die einzelnen Theorien nicht. Es bedarf offensichtlich interdisziplinärer Forschungsansätze, die die angesprochene Problematik aus verschiedenen Perspektiven heraus analysieren. So werden wir zunächst einzelne Ansätze aus den Bereichen der Biologie und Genetik, der Sozialisationsforschung, der Kognitions- bzw. Persönlichkeitspsychologie sowie der Entwicklungs- und Pädagogischen Psychologie diskutieren, um dann im Kapitel 7 übergreifende Konzepte als Integrationsmodelle vorzustellen, die auch für praktische Interventionsmaßnahmen (vgl. Teil III) interessant sein könnten.

37

Kapitel 4 Theorien aus dem Bereich der Biologie Bevor Psychologen sich mit Erziehungs- und Umwelteinflüssen und deren Auswirkungen auf den Menschen beschäftigen, ist — unter der Anwendungsperspektive — die Frage von Bedeutung, ob eine psychologische Einflußnahme überhaupt sinnvoll ist. Dies wäre dann der Fall, wenn angenommen werden kann, daß psychologische oder pädagogische Maßnahmen Änderungen hervorrufen, d.h. die zu beeinflussende Größe durch die (soziale und materiale) Umwelt beeinflußbar ist. Deshalb erscheint es interessant zu erfahren, welche Eigenschaften und Fähigkeiten erblich fixiert und welche "anerzogen", d.h. sozialisationsbedingt sind. Wichtigste wissenschaftliche Methode hierbei ist die Zwillingsforschung. Gemeinsame Eigenschaften und Fähigkeiten von getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen werden demnach als ererbt angenommen. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig es dennoch ist zu entscheiden, wie hoch der Anteil der Umwelteinflüsse im Vergleich zum Anteil der Vererbung auf das menschliche Verhalten ist, da die soziale Beeinflussung des Menschen ab der ersten Stunde seines Lebens beginnt (Interaktionsmodell). Die klassischen Untersuchungen der Verhaltensforscherin Margaret Mead haben gezeigt, wie die soziale Umgebung die Verhaltensentwicklung derart beeinflussen kann, daß geschlechtstypische Unterschiede entweder minimiert oder maximiert werden. Das Interesse an diesem Themenkreis ist also verständlicherweise groß, nicht nur unter Fachleuten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen erfordert dies besonders verantwortungsvolles Verhalten, da die Ergebnisse wesentlichen Einfluß auf psychologische und pädagogische Maßnahmen der Zukunft haben können. Genetiker, Neurophysiologen und Biologen beschäftigen sich seit langem mit der Erforschung der Gehirn- und Körperfunktionen. Ergebnisse dieser Studien werden von Psychologen aufgegriffen und als mögliche Erklärungsansätze in eigene Theorien eingebaut. So wurde auch versucht, die unterschiedlichen Ergebnisse von standardisierten Tests zur Messung mathematischer Fähigkeiten (vgl. Kapitel 3) biologisch zu erklären. Die be38

kannteste Arbeit hierzu ist die Studie an mathematisch hochbegabten Jugendlichen durch die Johns Hopkins Universität in Baltimore (USA). Entsprechende Korrelationszusammenhänge veranlaßten Benbow (1988, 1990) zu der Annahme, daß mathematische Hochbegabung erblich sei und in Verbindung stehe mit dem Geschlecht (männlich), mit Linkshändigkeit, mit Allergien und mit Kurzsichtigkeit. Grundlage dieser Hypothese ist die sogenannte Lateralisierung, d.h. die Spezialisierung der beiden Gehirnhälften in der Art, daß die rechte Körperhälfte von der linken Hirnhälfte und die linke Körperhälfte von der rechten Hirnhälfte kontrolliert wird. Die Verbindungsstränge beider Gehirnhemisphären verlaufen im Corpus Callosum, deren operative Durchtrennung (z.B. als Therapie für Epileptiker) zu beobachtbaren Verhaltens- und Erlebensveränderungen führt. Psychologisch

interessant ist hierbei die A n -

nahme, daß Sprache von der linken Gehirnhälfte, Musik und nichtsprachliche Funktionen wie räumliche Orientierung von der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden. Ausgehend von der Annahme, daß die Kreuzverbindung der Nervenbahnen unter der Bedingung der Dominanz der rechten Gehirnhälfte über die linke zur besseren Kontrolle der linken Körperhälfte führen muß, stellte Benbow die Hypothese auf, daß Linkshänder besser seien bei Aufgaben, die von der rechten Seite des Gehirns bearbeitet werden, z.B. bei Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen und den ihrer Meinung nach damit verbundenen mathematischen Fähigkeiten (vgl. Kapitel 3). In der Hochbegabtenstichprobe mit 305 Schülern, die Benbow befragt und analysiert hat, waren 15,1% Linkshänder, also doppelt soviele wie in der Normalbevölkerung (7,2%), und darunter mehr Jungen (16,4%) als Mädchen (11.4%). Dies führte sie zu der Erklärungshypothese, daß Linkshänder höher begabt seien und bessere mathematische Fähigkeiten aufwiesen (Benbow, 1988). Dieser Schluß ist jedoch auch umkehrbar: Da immer noch 85% der Stichprobe rechtshändig und hochbegabt sind, müßten demnach mathematische Fähigkeiten ebenso, wenn nicht stärker, mit der linken Gehirnhälfte gekoppelt sein. Eine weitere Bestätigung ihrer Hypothese sieht Benbow in der Theorie von Geschwind & Behan (1982), welche aussagt, daß ein pränatal hoher Testosteronspiegel das Wachstum der linken Gehirnhälfte behindere (die üblicherweise über die rechte dominert) und deshalb die besser ausgebildete rechte Gehirnhälfte beim Denken stärker aktiviert sei. Dazu kommt 39

die Annahme, daß das Testosteron die Entwicklung des Immunsystems behindere, wodurch diese Menschen anfälliger für Allergien werden. Diese Vermutung sieht Benbow durch die Tatsache bestätigt, daß in der Hochbegabtenstichprobe 55% angeben, unter Allergien und Asthma zu leiden, während es unter der Normalbevölkerung nur 25% sind. Dagegen könnte man vielleicht die Hypothese wagen, daß Hochbegabte mehr Interesse an Tätigkeiten haben, die überwiegend in geschlossenen Räumen ausgeführt werden, was ebenso Ursache für ein schwächer ausgebildetes Immunsystem sein kann. Ferner entdecke Benbow Anhaltspunkte dafür, daß Kurzsichtigkeit mit Hochbegabung korreliert. Zu diesem Schluß kam sie aufgrund der Beobachtung, wonach 57% aller Jugendlichen in ihrer Stichprobe kurzsichtig waren, im Vergleich zu 15% der Normalbevölkerung. Da man annimmt, daß Myopie erblich ist und 55% der Eltern ebenfalls kurzsichtig sind, wäre ein Rückschluß auf einen Zusammenhang von Myopie und Hochbegabung dann möglich, wenn man die Intelligenz der Eltern in entsprechende Untersuchungen miteinbeziehen würde (was bisher nicht geschah). Neuerdings wird auch ein Zusammenhang zwischen dem Geburtsmonat und Hochbegabung vermutet, wobei Benbow & Benbow (1987) bzw. Benbow (1990) Statistiken präsentieren, die den höchsten Anteil Hochbegabter in den Monaten April bis Juni — mit entsprechender Konzeption in den lichtstarken Monaten Juli bis September — aufweisen. Nach Lewy et al. (1980) beeinflußt das Tageslicht die Funktion der Zirbeldrüse, deren Hormon die Geschlechtsentwicklung hemmt. "Thus, conception and early prenatal development of intellectually precocious individuals appeared to have occured when their mothers' circulating hormone levels were high. Although consistent with Geschwinds' predictions and Geschwind & Behan's (1982) postulated testosterone effects, the data must be interpreted with great caution" (Benbow, 1990, S. 107f.). Eine weitere Hypothese, erstmals aufgestellt von Maccoby et al. (1979), sieht Benbow (1990) durch ihre Studie bestätigt: Erstgeborene seien einem höheren Hormonspiegel (Testosteron) ausgesetzt als Nachgeborene, was die Beobachtung erklären könnte, daß sich unter Hochbegabten sehr viele Erstgeborene finden. In Benbows Hochbegabtenstudie waren 62% Erstgeborene im Vergleich zu nur 48% der Kontrollgruppe, womit ihrer Meinung nach der Einfluß des Hormons Testosteron auf die mathemati40

sehen Fähigkeiten belegt sei (Benbow & Benbow, 1987). Dabei wird jedoch übersehen, daß Erstgeborene oft einen besonderen Status in der Familie innehaben und die Fürsorge bzw. Aufmerksamkeit in den wichtigen ersten Lebensmonaten nicht mit Geschwistern teilen müssen, womit auch eine sozialpsychologische Erklärung möglich wäre. Die Gesamtheit dieser Befunde führte Benbow zu dem Schluß, daß mathematische Hochbegabung teilweise physiologische Ursachen (bedingt in erster Linie durch das männliche Keimdrüsenhormon Testosteron) hätte. Diese Hypothese der biologischen Bedingtheit guter mathematischer Fähigkeiten fand breite Resonanz, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen, konnte aber bisher durch andere Untersuchungen nicht hinreichend bestätigt werden. So konnten Wiley & Goldstein (1990) keinen Zusammenhang zwischen Hormoneinflüssen und der Entwicklung von Hochbegabung feststellen. Gutezeit (1982) hat bei (allerdings nichthochbegabten) Linkshändern im Vergleich zu einer Zufallsstichprobe von Beidhändern in den Fächern Mathematik und Deutsch signifikant häufiger die Note 4 und 5 festgestellt. Für die männliche Überlegenheit im räumlichen Denken (vgl. Kapitel 3) gibt es auch genetische Erklärungsversuche. So wurde angenommen, daß es ein rezessives Gen auf dem X-Chromosom geben könnte, das die räumliche Wahrnehmung beeinflußt. So sei bei Männern — bedingt durch ein einziges X-Chromosom — die Wahrscheinlichkeit größer, dieses Gen zu erhalten; sie hätten somit Vorteile bei der räumlichen Wahrnehmung. Bei Frauen jedoch (XX-Chromosomensatz) seien zwei dieser rezessiven Gene nötig, damit sie dieselbe räumliche Wahrnehmungsfähigkeit haben. Um diese Hypothese zu verifizieren, untersuchte man Zusammenhänge bei räumlichen Wahrnehmungsaufgaben

innerhalb einer Familie. Demnach

wären höhere Korrelationen zwischen Müttern und Söhnen als zwischen Vätern und Söhnen zu erwarten, da ja das X-Chromoson von mütterlicher Seite stammt. Jüngere Untersuchungen, mit sehr großen Stichproben, konnten diese Hypothese jedoch nicht bestätigen (Eccles, 1982). Unter Fachleuten werden sowohl inhaltliche wie auch methodische Kritikpunkte bezüglich der hier referierten Befunde diskutiert. Hauptargument ist, daß bislang keine befriedigende Theorie existiere, die angibt, was eigentlich mathematisches Talent oder mathematische Denkfähigkeit sei, ja man wisse nicht einmal genau, welche kognitiven Strukturen diese Denk41

fähigkeiten voraussetzen und wie sie sich entwickeln. Aus Experimenten mit Tieren und aus klinischen Befunden bei Menschen wird beispielsweise geschlossen, daß das sich entwickelnde Gehirn äußerst sensibel auf äußere Umwelteinflüsse reagiere und insofern die Gehirnstruktur die sozialen und kulturellen Einflüsse widerspiegele, mit denen es vor und nach der Geburt konfrontiert war (Bleier, 1988). Deshalb wird gefordert, zuerst diese Zusammenhänge zu erforschen, bevor darauf aufbauend Theorien definiert werden. Die Analyse von Benbow und deren Hypothesen der biologischen Bedingtheit von mathematischen Fähigkeiten wird als künstlich und irrelevant bewertet: So betont Eysenck (1988), daß die von Benbow berichteten Zusammenhänge keinen Schluß darüber zulassen, ob es sich hierbei um vererbte oder durch Umwelteinflüsse hervorgerufene Unterschiede handele. Er kritisiert, daß keine verhaltensgenetischen Methoden, wie etwa die Zwillingsforschung, angewendet wurden. Dazu muß aber erst einmal festgelegt werden, was es genau ist, das als vererblich angenommen wird. Jensen (1988) beispielsweise führt an, daß unter schwarzen Schülern keine geschlechtsabhängigen Leistungsunterschiede bezüglich des S A T - M (mathematischer Fähigkeitstest) festgestellt wurden und erklärt diese Tatsache damit, daß solche Fähigkeitsunterschiede nicht biologisch, sondern kulturell bedingt seien. Denn von Töchtern in afrikanisch-amerikanischen Familien wird erwartet, daß sie beruflich erfolgreich sind, mit dem Ergebnis, daß sie ein besseres Selbstbild entwickeln als Töchter aus europäisch-amerikanischen Familien (Safilios-Rothschild, 1986). Zusammenfassend ist festzuhalten, daß eine biologische Bedingtheit von besonderer mathematischer Befähigung bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Die Studie von Benbow zeigt zwar einen Zusammenhang zwischen Hochbegabung, Linkshändigkeit, Kurzsichtigkeit und gehäuftem Auftreten von Allergien, jedoch ohne eine fundierte, schlüssige Erklärung des damit in Verbindung gebrachten hormonellen Einflusses zu liefern. Ihre Hypothesen sind spekulativ, schon deshalb, weil der Einfluß der Hormone auf die Gehirn- und Körperfunktionen ganz allgemein noch nicht ausreichend erforscht ist. Entsprechende Erklärungsversuche werden deshalb in Fachkreisen meist mit Skepsis betrachtet, ohne daß allerdings die Gegenargumente ihrerseits immer zu überzeugen vermögen. Gravierender ist, daß solche spektakulären Thesen häufig unkritisiert über die Medien an die Öffentlichkeit gelangen, mit negativen Auswirkungen auf die elterlichen Einstel42

lungen: Mütter, die die Berichterstattungen von Benbow & Stanley (1980b) gelesen hatten, hielten ihre Töchter für weniger mathematisch begabt, erwarteten weniger Erfolg für die Mathematikleistungen ihrer Töchter und dachten, daß sich diese mehr anstrengen müßten, um gute Leistungen in Mathematik zu erzielen, als jene Mütter, die diese Studie nicht gelesen hatten, und dies, obwohl sich die Mathematiknoten der Mädchen beider Gruppeff nFcln unterschieden (Kimball, 1989). Theorien können somit als sich selbsterfüllende Prophezeiung wirken, mit dem Effekt der Entmutigung junger Mädchen und jener Personen, die diese beeinflussen. Hieran wird deutlich, mit welcher Vorsicht besonders Theorienanleihen aus dem Bereich der Biologie betrachtet werden müssen, zumal eine wissenschaftliche Absicherung aus den erwähnten methodischen Gründen äußerst schwierig ist. Diese Sichtweise bestätigen auch Stanley et al. (1991) in einem Vortrag an der Universität von Iowa (USA). Die neuesten Auswertungen bezüglich Geschlechtsunterschieden in standardisierten Fähigkeits- und Leistungstests ergaben, daß Männer bessere Ergebnisse als Frauen erzielen (außer bezüglich sprachlicher Fähigkeiten und Fremdsprachen), obwohl junge Frauen bessere Schulnoten aufweisen. Stanley hebt hervor, daß die Mitglieder des S M P Y (Study of Mathematically Precocious Youth) für diese Tatsache keinerlei Erklärungen geben können. Die Auswertungsdaten der Tests stellen lediglich die "whats" dar. Sie fordern Forscher und Forscherinnen auf, die "whys" zu untersuchen. Detaillierte Langzeitstudien seien dringend nötig, um die Ursprünge und die Herausbildung von Geschlechtsunterschieden in Leistungstests zu erforschen.

43

Kapitel 5 Erklärungsmodelle aus dem Bereich der Kognitions- und differentiellen Entwicklungspsychologie Es existiert eine Reihe von Forschungsergebnissen, die nahelegen, daß motivationale und emotionale Persönlichkeitsmerkmale eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für Mathematik oder ein naturwissenschaftliches Fach spielen, ebenso wie für außergewöhnliche Leistungen in diesen Bereichen. So haben Mädchen beispielsweise oft andere Interessen und bevorzugen andere Aktivitäten als Jungen, was sich in der Wahl der Fächer niederschlägt (Eccles, 1985a). Mädchen gehen offensichtlich stärker ihren Neigungen nach, da sie nicht so stark wie die Jungen durch gesellschaftlich dominierte Karriereerwartungen belastet sind. Es wurde bei hochbegabten Mädchen ein breiteres Interessenspektrum als bei gleichaltrigen Jungen beobachtet, d.h. sie investieren ihre Begabung in mehrere Bereiche, vor allem in geistig-kulturelle Gebiete, wie Musik, Literatur, das Lesen wissenschaftlicher Bücher, Theater- und Ausstellungsbesuche. Durch diese heterogenen Interessengebiete ist es für sie schwierig, ihre Leistungen in Mathematik bei wachsendem Schwierigkeitsgrad auf gleichem Niveau wie die Jungen zu halten (Pollmer, 1991). Denn die Interessen tragen wesentlich zur Entwicklung von Fähigkeiten bei, indem sie die geistigen Tätigkeiten auf einen bestimmten Gegenstandsbereich ausrichten. Einige empirische Untersuchungen beschäftigen sich mit Geschlechtsunterschieden bezüglich Attribution (Ursachenzuschreibung) und Kontrollüberzeugung. Dabei wurde festgestellt, daß Mädchen im Vergleich zu Jungen ihre Leistungsergebnisse in Naturwissenschaft und Mathematik anderen Ursachen zuschreiben (z.B. Yuchtman-Yaar & Shapira, 1981). Es gibt nun mehrere Formen der (subjektiven) Ursachenzuschreibung für Erfolg und Mißerfolg, die die Attributionstheorie zu analysieren versucht. Um zu erklären, wie Menschen Verhaltensursachen erkennen, hat Rotter (1966) eine eindimensionale Klassifizierung vorgeschlagen, die er "Kontrollüberzeugung" (Locus of Control) nannte. Ein Individuum erklärt dem44

nach eine Handlung entweder als "external" (außerhalb der Kontrolle des Individuums) oder als "internal" (Erfolg oder Mißerfolg liegen in der Kontrolle des Individuums) verursacht. Rosenbaum (1972; zit. nach Weiner, 1979) hat eine weitere Dimension der Kausalität, nämlich die Stabilität des Ereignisses als ursachenrelevant hinzugefügt. Ist die Ursache des Erfolges bzw. des Mißerfolges etwas Stabiles (z.B. Begabung oder Aufgabenschwierigkeit) oder etwas Instabiles (z.B. Anstrengung oder Zufall)? Locus of Control Internal Stabil

Begabung

External Aufgabenschwierigkeit

Stabilität Instabil

Anstrengung

Glück

Abb. 1: Klassisches Vierfelderschema zur Kausalattribution (nach Heider, 1958)

Studien zu Geschlechtsunterschieden bezüglich der Leistung bzw. Kursteilnahme in Mathematik und Naturwissenschaften zeigen, daß Mädchen statistisch überzufällig häufiger als Jungen Erfolge in diesen Fächern auf Glück und Mißerfolge auf mangelnde eigene Begabung zurückführen (Ryckman & Peckham, 1987b). Eine mißlungene Physikprüfung schreiben Mädchen also eher ihrer mangelnden Begabung zu, während Jungen äußere Faktoren wie zu schwierige Aufgaben oder einmaliges Pech dafür verantwortlich machen. Diese ungünstigen Attributionsmuster beeinflussen die weitere Motivation sowie die Interessen und münden häufig in eine Situation der "erlernten Hilflosigkeit" (Seligman, 1975). Diese liegt dann vor, wenn eine Person nach häufiger Erfahrung mit Situationen, bei denen keine ihrer Reaktionen zu einer Vermeidung einer unangenehmen Erfahrung führte, eine resignative Haltung einnimmt. Eine Schülerin, die beispielsweise erste Mißerfolge im Physikunterricht hatte, die vielleicht nur deswegen entstanden, weil sie im Vergleich zu den Jungen weniger Vorerfahrung in Physik aufwies, überträgt dieses Erlebnis möglicherweise auf andere Situationen (im Physikunterricht oder in verwandten Fächern). In der Zukunft wird sie dann zunehmend weniger bereit sein, sich in diesen Fächern anzustrengen. 45

Eine Metaanalyse (Beerman & Heller, 1990) von zehn vergleichbaren Untersuchungen zum Thema "Geschlechtsspezifische Attributionen für Erfolg und Mißerfolg in Mathematik" mit einer Gesamtzahl von 3810 Versuchspersonen bestätigte, daß männliche Probanden ihre Erfolge bevorzugt durch Begabung erklären, weibliche durch starke Anstrengung. Mißerfolg hingegen führen weibliche Probanden meist auf mangelnde Begabung, männliche Probanden dagegen bevorzugt auf mangelnde Anstrengung zurück. Eine Befragung von 827 bedeutenden Frauen aus Wirtschaft und Politik in Kanada zeigte, daß 94,4% ihre beruflichen Erfolge auf ihre eigene Begabung und Fähigkeit zurückführen. Für den überwiegenden Anteil dieser beruflich erfolgreichen Frauen ist also eine internale Kausalattribuierung charakteristisch. Als stark entmutigend dagegen bezeichneten diese Frauen die Erlebnisse zu Einstellungen gegenüber weiblichen Leistungen. 67,6% bewerteten die stereotypen Einstellungen der anderen und die Tatsache, eine Frau zu sein, als hauptsächliche Behinderung für ihre berufliche Karriere (Yewchuk & Chatterton, 1990). Auch andere Studien stellten einen Zusammenhang zwischen der Selbstwahrnehmung, der Einschätzung eigener Fähigkeiten und Interessen sowie dem Geschlechtsstereotyp fest. Demnach wird die Bereitschaft, sich für eine männlich dominierte Ausbildung zu entscheiden,

von der Ge-

schlechtsrollenorientierung und -identität der Jungen und Mädchen beeinflußt. Die Geschlechtsrollenorientierung entwickelt sich normalerweise gemäß den Erwartungen darüber, welche Eigenschaften und welche Verhaltensweisen für einen Mann oder eine Frau angemessen und sozial erwünscht bzw. unerwünscht sind (Sieverding, 1990). Dabei spielen Stereotype (verallgemeinerte Kategorisierungen), durch die die reale Umwelt verzerrt und verfälscht wird, eine große Rolle. Mehrere Untersuchungen mit dem Bern Sex Role Inventory (BSRI) — einem Fragebogen zum Geschlechtsrollenselbstkonzept — haben gezeigt, daß Mädchen und Frauen mit einer androgynen oder maskulinen Geschlechtsrolle sich eher für einen technischen Beruf interessieren als jene, die sich selbst als feminin einstufen (Bern, 1974, 1981; Edwards & Spence, 1987). Nach Hoffmann (1988a) gibt es innerhalb des Berufsspektrums erlebnismäßig eine deutliche Einteilung in "männliche" und "weibliche" Berufe. In Deutschland wird dies durch die Tatsache unterstrichen, daß sich knapp 46

70% der jungen Frauen für Ausbildungen in nur 15 Berufen entscheiden (vgl. Kapitel 2). Entsprechende Mechanismen wirken offenbar sehr früh, so daß viele Frauen, die für einen "untypischen" Beruf außerordentlich geeignet wären, diese Wahl nicht treffen (Chipman & Thomas, 1987). Nach der "Masculine Identification Hypothesis" müssen sich Frauen mit der männlichen Rolle identifizieren, um Interesse und Fähigkeiten für Mathematik und verwandte Gebiete zu entwickeln. Sonst werden Mathematik und Technik als "unweiblich" empfunden und diese Fächer abgelehnt (Birx, 1988). In einer Studie an der Universität Manchester, England, gaben Mädchen, die sich selbst als feminin einstuften, Naturwissenschaften eher als männliche Domäne an und deshalb als für sie weniger geeignet. Generell äußerten Jugendliche, die Geschlechtsrollenstereotype akzeptierten, weniger Interesse an Bereichen, die traditionsgemäß mit dem anderen Geschlecht verknüpft sind, als die Kontrollgruppe (Kelly, 1988). Andererseits zeigen Frauen, die sich zu einer Karriere in Naturwissenschaft oder Technik entschlossen haben, mehr "männliche" Interessen und vielfach sogar eine stärkere "Sachorientierung" als Männer, die in diesen Berufen tätig sind (Lantz, Carlberg & Eaton, 1981). Entsprechend der Theorie Kohlbergs (1966) kann man diese Tatsache damit erklären, daß Individuen Dinge, die ihnen als identifikationswürdig erscheinen, entsprechend hoch bewerten. Das, was mit dem Selbst konsistent ist, wird schneller und besser verarbeitet und weniger leicht vergessen bzw. abgelehnt. Leisten nun Mädchen, die ein eher "maskulines" Geschlechtsrollenselbstkonzept haben, mehr als diejenigen, die sich als "feminin" einstufen? Signorella & Jamison (1986) haben diese Frage durch eine statistische Metaanalyse über kognitive Leistung und Geschlechtsrolle überprüft. Die Hypothese lautete, daß Individuen mit eher maskuliner Geschlechtsrollenorientierung bessere kognitive Fähigkeiten im räumlichen Bereich aufweisen als feminin eingestufte Individuen. Obwohl hier nach dem biologischen Geschlecht unterteilt wurde, spielte das psychologische Geschlecht die wichtigste Rolle. Die Operationalisierung, d.h. Messung der Geschlechtsrollenorientierung war insofern problematisch, als es zwei theoretische Richtungen gibt, die sich nicht (statistisch-metaanalytisch) kombinieren lassen. Die erste (und ältere) Ansicht ist, daß Geschlechtsrollenorientierung auf einer unipolaren Skala gemessen werden kann, mit "maskulin" als Ge47

gensatz zu "feminin". Frauen und Männer werden dabei durch eine Reihe von Eigenschaften charakterisiert: Männlich bedeutet das Individuelle, d.h. Selbstsicherheit, Selbständigkeit, Kraft, Aktivität, Rationalität; weiblich heißt

Abhängigkeit,

Hingabe,

Sympathie,

Passivität,

Emotionalität

(Foushee et al., 1979; Bilden, 1980; Krampen, 1979, 1983; Deaux, 1984, 1985). Zu Beginn der 70er Jahre wurden im Gegensatz dazu bipolare Selbstkonzeptskalen verwendet, die Maskulinität und Femininität als unabhängig voneinander betrachten (vgl. Bern, 1974). Danach kann eine Person, unabhängig von ihrem (biologischen) Geschlecht, weibliche wie auch männliche Eigenschaften besitzen. Die als weiblich bewerteten Items werden auf der Expressivitäts-Skala erfragt, durch Eigenschaften wie "gefühlsbetont", "hilfreich zu anderen sein" oder "fähig sein, auf andere einzugehen". Zu der Instrumentalitäts-Skala, die die männlich bewerteten Items enthält, gehören beispielsweise "selbstsicher", "Druck gut standhalten", "aktiv" (Sieverding, 1990; vgl. noch Bierhoff-Alfermann,

1983; Bierhoff-Alfermann

et al.,

1988; Schneider-Düker & Kohler, 1988). Bei den meisten der 73 Untersuchungen wurde ein "Wert" (als Korrelationskoeffizient) für den "Grad von Femininität" bzw. "Maskulinität" mitgeteilt. "Androgynität", der Fall einer gleich hohen Ausprägung von Maskulinität und Femininität, wurde unabhängig untersucht, da diese Werte mit denen von unipolaren Skalen nicht vergleichbar waren. Die Ergebnisse dieser umfangreichen Metaanalyse deuten darauf hin, daß sowohl Männer als auch Frauen, die sich als eher maskulin einstufen, bessere Fähigkeiten im mathematischen und räumlichen Denken zeigen. Bei Aufgaben zur räumlichen Wahrnehmung zeigte sich, daß der Zusammenhang zwischen Geschlechtsrollenorientierung und Leistung bei jüngeren Mädchen stärker ausgeprägt ist als bei erwachsenen Frauen. Man kann daher vermuten, daß der Geschlechtsrollendruck in der Pubertät die Interessenentwicklungen, die Motivation und die Identifikation mit dem Sachgegenstand besonders stark beeinflussen. Denn Mathematik, Naturwissenschaften und Technik sind Gebiete, die häufig als männliche Domäne stereotypisiert werden. Das bedeutet, daß die generalisierte Meinung vorherrscht, Mädchen und Frauen könnten hierin weniger leisten als Männer; und falls sie sich dennoch in diesen Bereichen mit Erfolg engagieren, werden sie als eher unweiblich deklassiert. Die Stereotypisierung von Mathe48

matik als männliche Domäne wurde kürzlich durch eine umfangreiche Metaanalyse überprüft mit dem Ergebnis, daß Männer Mathematik wesentlich stärker stereotypisieren als Frauen (Hyde, et al. 1990). Dies dürfte dazu führen, daß junge Frauen eine Unsicherheit verspüren bezüglich ihrer Rolle als Frau und der Tatsache, erfolgreich in Mathematik zu sein. Durch eine Vielzahl von subtilen Möglichkeiten können stereotypisierte Sichtweisen männlicher Gleichaltriger ihren Mitschülerinnen und Mitstudentinnen, die gute Leistungen in Mathematik erbringen, anzeigen, daß sie diese für weniger weiblich halten. Auch Lehrer können so bewußt oder unbewußt Mädchen

entmutigen,

eine

mathematisch-naturwissenschaftlich-technische

Ausbildung anzustreben. Daß Geschlechtsrollenstereotype die schulische Laufbahn beeinflussen können, zeigt auch die Studie mit Elfjährigen von Kelly (1988). Feminine Selbsteinschätzung war gekoppelt mit niedrigerer Leistung in Naturwissenschaften und einer Vermeidungshaltung. Dagegen zeigten Mädchen, die sich eher als maskulin ansahen, bessere Leistungen auf diesen Gebieten. Auch das Selbstkonzept der Mädchen im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaften

und Technik beeinflußt ihre Ausbildungs- und Be-

rufsentscheidung. Das hierbei vielfach beobachtete geringere Selbstwertkonzept der Mädchen gegenüber Jungen kann durch mangelnde Erfahrung und/oder wegen eines unangemessenen Geschlechtsrollenbildes sowie ungünstiger Attributionsstile verursacht sein. Das Selbstkonzept ist ein Persönlichkeitskonstrukt, das jedoch differenziert betrachtet werden muß. Es gibt kein hom*ogenes, eindimensionales "Selbstkonzept", vielmehr sind für verschiedene Verhaltens- und Erlebensbereiche spezifische Selbstkonzepte anzunehmen (vgl. Marsh et al., 1985; Whitley, 1988). Bereits ab der 3. Klasse ist ein Geschlechtsunterschied zu beobachten: Jungen bewerten ihre physischen und sportlichen Fähigkeiten hoch, Mädchen hingegen ihre Fähigkeiten im Lesen. Mädchen in der 5. Klasse hatten bessere Noten in Mathematik und Lesen, aber nur im Lesen höhere Selbstkonzepte, d.h. eine höhere Selbsteinschätzung ihrer Kompetenz, als Jungen (Marsh etal., 1984, 1985). Eine Metaanalyse von acht Studien (Beerman & Heller, 1990), die das spezifische Selbstkonzept für Mathematik untersucht haben (mit einem Gesamtstichprobenumfang

von 3902 Personen), ergab signifikante Unter-

schiede zwischen weiblichen und männlichen Versuchspersonen bezüglich 49

des mathematischen

Selbstkonzeptes. Bei keiner Untersuchung hatten

weibliche Versuchspersonen höhere Selbstkonzepte für Mathematik als männliche. Entweder gab es keinen signifikanten Unterschied oder die männlichen Versuchspersonen hatten höhere Werte. Die höchsten Werte (größten Geschlechtsunterschiede) wurden bei drei Untersuchungen gemessen, die bei Schüler und Schülerinnen ab der 7. Klasse durchgeführt worden waren. Dies deutet wiederum darauf hin, daß der niedrige Selbstkonzeptwert in Mathematik bei Mädchen nicht altersunabhängig ist, sondern sich während der Pubertät entwickelt. Inwiefern der Selbstwert mit der tatsächlichen Leistung zusammenhängt, blieb in diesen Studien jedoch ungeklärt. Immerhin spielt das Selbstkonzept eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Motivation, die für weitere Leistungen und Entscheidungen in diesem Bereich ausschlaggebend ist (vgl. Eccles, 1985b). Die Ergebnisse zweier Fragebogenstudien mit Stichprobengrößen von 158 bzw. 438 Schülern und Schülerinnen im Alter von 13 bis 17 Jahren, durchgeführt an zwei Berliner und zwei nordrhein-westfälischen Gymnasien, bestätigen diese Annahmen (Hannover, 1991). Es zeigte sich eine negative Verzerrung der Selbsteinschätzung der Mädchen im Vergleich zu ihren tatsächlichen Leistungen. Die Mädchen unterschätzten ihre Leistungen in Mathematik, während die Jungen ihre Leistungen als zu gut beurteilten. Die Deutschleistungseinschätzungen ergaben demgegenüber keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Hannover (1991) zieht daraus den Schluß, daß mit dem biologischen Geschlecht die Einschätzung der mathematischen Kompetenz korreliert ist, nicht aber mit den Leistungen im Fach Deutsch: Die Beurteilung eigener Fähigkeiten wird also durch das Geschlechtsrollenstereotyp, wonach Mathematik eine männliche Domäne sei, negativ beeinflußt. Ein weiteres Ergebnis dieser Studie ist, daß die Einschätzung der eigenen Mathematikkompetenz Relevanz hatte als Vorhersagewert für die Leistungskurs- und Berufswahl. Die Konsequenzen für den Fall der Wahl eines Physikleistungskurses oder eines naturwissenschaftlich-technischen Berufes wurden von den Jugendlichen umso negativer beurteilt, je geringer die Einschätzung der eigenen Kompetenz in der Mathematik war. Diese negativen Einstellungen wirkten sich abträglich auf die entsprechenden Verhaltensintentionen aus: Die Absicht der Schüler und Schülerinnen, einen bestimmten Leistungskurs zu wählen, war stark durch ihre Annahmen über Konsequenzen eines solchen Verhaltens determiniert. 50

Mädchen aber erwarteten negativere Folgen und weniger soziale Anerkennung für die Wahl naturwissenschaftlicher Leistungskurse und Berufe als ihre männlichen Mitschüler, und sie schätzten ihre Berufsperspektiven in diesen Bereichen relativ zu den Jungen schlechter ein. Hannover sieht in diesen Zusammenhängen eine mögliche Erklärung dafür, warum auch naturwissenschaftlich hochbegabte Mädchen weniger Gebrauch von ihren Fähigkeiten machen als Jungen. Einstellungen und Zuneigung zu Mathematik und Technik beeinflussen ebenfalls die Entscheidung für die Teilnahme an entsprechenden Leistungskursen oder Ausbildungsgängen (vgl. Chipman & Thomas, 1987). Viele Untersuchungen zeigen, daß Jungen Mathematik für nützlicher halten als Mädchen (Stage, et al. 1985). Obwohl diese Ergebnisse nicht über alle Altersgruppen und Schultypen konsistent sind, erwies sich dennoch, daß die Wertschätzung des Faches Mathematik sowie die Bedeutung einer auf Mathematik bezogenen Karriereplanung wichtige Vorhersagewerte für die Leistungen in diesem Fach dastellen. In ihrer Metaanalyse über Einstellungen, kognitive Fähigkeiten und naturwissenschaftliche Leistung haben Steinkamp & Maehr (1983) 66 verschiedene Untersuchungen herangezogen. Dabei wurden entweder kognitive Fähigkeiten im Bereich der Naturwissenschaften, Leistungen bei Wissenstests oder Einstellungen und Werthaltungen zur Naturwissenschaft geschlechtsspezifisch untersucht. Die Hauptfragestellung lautete: Wie fühlen sich Jungen und Mädchen, wenn sie an Naturwissenschaft denken? Sind diese unterschiedlichen Gefühle von unterschiedlichen Fähigkeiten abhängig? Wie ausschlaggebend sind diese Gefühle, um Leistungen vorherzusagen? Die Studien, die Geschlecht mit naturwissenschaftlicher Leistung kombinierten, ergaben, daß kleine, aber signifikante Unterschiede zugunsten der Jungen vorhanden sind. Bei weiterer Unterteilung stellte sich heraus, daß unterschiedliche Faktoren zu verschiedenen Zeitpunkten (Altersgruppen) eine Rolle spielen. Die höhere Leistung von Jungen in Physik könnte u.a. mit der Stereotypisierung des Faches Physik als "männlich" zusammenhängen. Jungen wollen ihre Männlichkeit durch gute Physikleistungen beweisen, Mädchen hingegen ihre Weiblichkeit durch "schlechte" Physiknoten (vgl. auch Hannover et al., 1989). Darüber hinaus sind die außerschulischen

51

Aktivitäten von Jungen häufiger mit Physik verbunden (Basteln, Reparieren, Forschen) als jene der Mädchen (Pflanzen und Tiere pflegen). Der Einfluß des Geschlechts auf affektive Variablen ist, insgesamt betrachtet, nicht signifikant. Wenn man allerdings nach Altersgruppen differenziert, stellen sich interessante Unterschiede heraus. Die Einstellungsund Zuneigungswerte für Biologie und Chemie sind bei Mädchen höher, die für Mathematik und Physik bei Jungen. Es ist eine gegenseitige Verstärkung von Affekt und Leistung anzunehmen, d.h. es besteht eine Korrelation zwischen kognitiven Fähigkeiten, naturwissenschaftlicher Leistung und Einstellungen (Steinkamp & Maehr, 1983). Eine Untersuchung über Schülerinteressen von Hoffmann & Lehrke (1986) ergab, daß Mädchen bereits am Ende des 5. Schuljahres ein deutlich geringeres Interesse an der Physik zeigten als die Jungen, dieses geringere Interesse jedoch abhängig war von den einzelnen Gebieten: Für Atomlehre, Akustik und Optik interessierten sich die Mädchen ebenso wie die Jungen. Astrophysik sowie Naturphänomene bevorzugten sie sogar mehr als die Jungen. Auf die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Lehrplan- und Unterrichtsgestaltung werden wir im Teil III eingehen. In den letzten Jahren wurde auch untersucht, inwieweit Angst vor Mathematik das Interesse und die Leistung in diesem Fach beeinflußt. Die wenigen Studien, die es hierzu gibt, unterstützen die Hypothese, daß die Leistung in Mathematik negativ mit der Angst vor Mathematik korreliert ist und daß Mädchen mehr Angst vor Mathematik haben als Jungen (Reyes, 1984). Es ist jedoch schwierig festzustellen, inwieweit diese Ergebnisse die bekannte Tendenz widerspiegeln, daß Frauen eher bereit sind, ihre Gefühle zuzugeben als Männer. Es besteht die Gefahr, daß Angst vor Mathematik als weiblich stereotypisiert wird, mit der Annahme der damit verbundenen geringeren Leistungsfähigkeit in diesem Fach. Denn Ängstlichkeit wurde bei Frauen und bei Männern festgestellt (Hyde et al., 1990). Die Frage ist also generell, wie diese Angst vor Mathematik entsteht und beseitigt werden kann. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß bestimmte Verhaltensweisen, Selbstwahrnehmung und affektive Einstellungen von Mädchen und Frauen die Interessen und Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik beeinflussen. Durch das Verhaftetsein in gesellschaftlich bedingten Stereotypen der Selbst- und Fremdwahrnehmung stehen junge Frauen 52

häufig unter dem Zwang, ihre weibliche Attraktivität mit der Ausbildung und der Berufsrolle zu verbinden. Die Auswirkungen geschlechtsspezifischer Sozialisationsprozesse mit ihren negativen Konsequenzen auf die Selbstwahrnehmung, die Einschätzung eigener Leistungsfähigkeit und -Orientierung treten vor allem zum Zeitpunkt der Pubertät in Erscheinung. Hier dürfte auch erstmalig der Konflikt zwischen der beruflichen Karriere und dem Wunsch nach Familie und Kindern aktuell werden. In dieser Lebensphase des Übergangs und der Ablösung sind junge Frauen in ihrer Identitätsfindung besonders auf die Anerkennung von Bezugspersonen und Peers angewiesen. Die Unsicherheit über die neuen Rollenanforderungen bedingen eine Abhängigkeit von Einschätzungen und Erwartungen anderer. Im folgenden soll die Bedeutung der sozialen Einflüsse, der Unterstützung durch Bezugspersonen, vor allem Eltern und Lehrer, auf das naturwissenschaftlichtechnische Engagement und die schulischen bzw. beruflichen Ziele junger Frauen analysiert werden.

53

Kapitel 6 Ansatzpunkte aus dem Bereich der Erziehungs- und Sozialpsychologie Die Entscheidung für ein bestimmmtes Ausbildungsfach bzw. Beruf hat große Bedeutung für die individuelle Zukunft eines Menschen und seine Lebensplanung. Die Berufswahl ist für viele Jugendlichen schwierig, und so erstaunt es nicht, daß die Bezugspersonen einen erheblichen Einfluß bei dieser Entscheidungsfindung haben: Im Sozialisationsprozeß wird der junge Mensch mit Einstellungen und Verhaltensweisen der Familie, seiner Freunde, der Schule und der Medien konfrontiert. Sozialisationstheoretische Forschungsbefunde belegen, daß diese Erfahrungen die Berufs- und Ausbildungsinteressen stark beeinflussen und für Jungen und Mädchen unterschiedliche Auswirkungen haben. Mit Sozialisation bezeichnet man den Prozeß, in dem aus einem Neugeborenen ein "gesellschaftliches Individuum" wird; ein Individuum, das fähig ist, gemäß seiner Stellung in der gegebenen Gesellschaft zu handeln. Der junge Mensch entwickelt sich in gesellschaftlichen Struktur- und Interaktionszusammenhängen, d.h. in der Familie, in Freundesgruppen, in Schulen und Arbeitstätten (Bilden, 1980). Sehr früh wird jedes Individuum aufgrund seines biologischen Geschlechts in die Gesellschaft eingeordnet. M i t dieser Einordnung ist eine geschlechtsspezifische Sozialisation verbunden. Die Soziaiisationsforschung beschäftigt sich damit, wie Geschlechterrollen erworben und wie geschlechtstypische Verhaltensweisen angeeignet werden.

Sozialpsychologische Theorien gehen davon aus, daß soziale Modelle die Hauptursache von Geschlechtsstereotypen sind (Kohlberg, 1966). Das bedeutet, daß Rollenmodelleinflüssen eine erhebliche Funktion bei der familiären und schulischen Sozialisation zukommen müßte. Zentral hierbei ist der Begriff des Lernens am Modell (Bandura & Walters, 1963). So ist ein Mangel an weiblichen Rollenmodellen in den Fachrichtungen Mathematik, Naturwissenschaft und Technik zu beobachten: In der Schule wird fortgeschrittener Unterricht in Mathematik oder Physik fast immer von einem männlichen Lehrer gegeben. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage, welche Voraussetzungen das Modell erfüllen muß, um als Vorbild akzeptiert zu werden. Ein54

stimmigkeit herrscht über die Notwendigkeit eines regelmäßigen Kontaktes zwischen Modell und Beobachter. Es sollte sich möglichst um eine Person handeln, die dem Lernenden positive Erlebnisse vermittelt und ihrerseits in der Lage ist, Bedürfnisse zu befriedigen bzw. Belohnungen zu verteilen. In Frage kommen also vor allem die unmittelbaren Bezugspersonen des Jugendlichen. So ist weder die einmalige Modellpräsentation (z.B. der Vortrag einer im technischen Bereich erfolgreichen Frau) noch allein die passive Modellwirkung ausreichend, um dauerhaft die Interessen für eine bestimmte Fachrichtung zu wecken. Vielmehr sind eine aktive Unterstützung und Ermutigungen nötig, damit sich entsprechende Effekte einstellen. Eine Untersuchung von Casserly & Rock (1979) erbrachte, daß das Geschlecht des Lehrers allein nicht ausreichend ist, um bei Mädchen das Interesse an Mathematik zu steigern; für sie spielen zusätzlich bestimmte Arten von geteilter Erfahrung eine wesentliche Rolle. Zu einem entgegengesetzten Ergebnis kommt allerdings Boswell (1980). Für ihn kann die Wichtigkeit von weiblichen Rollenmodellen, sowohl was das Unterrichtsmaterial als auch was die Lehrer betrifft, nicht überschätzt werden. Jegliche Übermittlung von Modellen sei bedeutsam. Nur die rein sprachliche Mitteilung ist — wie allgemein bekannt — in ihrer Wirksamkeit gegenüber den anderen Formen unterlegen. Unterstützung findet diese These von Boswell durch Interventionsmaßnahmen von Brody & Fox (1980), die durch weibliche Rollenmodelle die Beteiligung von Mädchen an Mathematikkursen steigern konnten. Lantz & Smith (1981) haben festgestellt, daß die Unterstützung von Bezugspersonen — neben dem subjektiven Wert für Mathematik — die besten Prädiktorvariablen für die Entscheidung zu einem Mathematikkurs sind. Ein ähnliches Ergebnis brachte die Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Erschließung gewerblich-technischer Berufe für Mädchen (Alt et al., 1988; Rimele-Petzold, 1986; Hellmann & Schiersmann, 1991). Auch hier haben Personen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der Mädchen den Ausschlag gegeben, einen technischen Beruf zu ergreifen. Gemäß der Theorie des Lernens am Modell sollte es sich bei den Modellen um attraktive Personen handeln (im Sinne von gewinnenden Eigenschaften und hohem sozialen Prestige), denn vom Grad der Attraktivität hängt die Aufmerksamkeit des Beobachters ab. Es sind demnach weibliche f, 55

Rollenmodelle nötig, die demonstrieren, daß Frau-Sein und Sich-mit-Technik-Beschäftigen, kein Widerspruch ist. Eben diese Modelle seien nicht genügend vorhanden, lautet Leferinks "Vorbild-Defizif-Hypothese (1988): Ein Grund für das im ganzen gesehen niedrigere berufliche und akademische Aspirationsniveau von Frauen sei in der Abwesenheit von "effektiven" Rollenmodellen zu sehen. In diesem Kontext bedeutet "effektiv", daß technisch begabte und interessierte Frauen nicht als unweiblich erlebt werden, sondern als Expertinnen, die für ihr Fachgebiet eine Bereicherung darstellen. Gestützt wird diese "Vorbild-Defizit"-Hypothese auch von Fox et al. (1980), die feststellen, daß Mathematikkurse für Fortgeschrittene eher von Männern gehalten werden. Insgesamt gesehen lassen die Studien zum Einfluß von Modellen keine eindeutigen Schlüsse zu. Vor allem hinsichtlich des Geschlechts solcher Vorbilder sind die lerntheoretischen Befunde uneinheitlich. Denn es gibt auch Hinweise, daß Frauen mit atypischer Fachwahl sich primär am Vater als Rollenmodell orientierten. Eine Befragung von Studienberechtigten 1980 ergab, daß Abiturientinnen, deren Eltern (zumeist der Vater) einen technischen Beruf ausübten, häufiger mathematisch-naturwissenschaftliche Leistungskurse als Abiturprüfungsfach wählten (Bundesminister für B i l dung und Wissenschaft, 1990b). Wichtig in diesem Kontext scheint auch zu sein, ob der Vater technisches Interesse fördert oder nicht und in welchem Ausmaß sich Frauen (auch unbewußt) von männlichen Ansichten bezüglich eines adäquaten Geschlechtsrollen Verhaltens beeinflussen lassen. Daß die männlichen Anschauungen auf die Karriereentscheidungen von Frauen einwirken, betont Hawley (1972), der einen Zusammenhang zwischen der Berufswahl von Frauen und den von ihnen antizipierten Meinungen der Männer bezüglich dieser Wahlen festgestellt hat. Die männlichen Einstellungen erweisen sich somit als Einflußfaktor im Prozeß der weiblichen Selbstdefinition. Dieses Problem bringt Frauen in eine "double-bind-Situation": Sie fürchten einerseits Erfolg aufgrund der Annahme, daß Männer sich von intelligenten Frauen bedroht fühlen und sich somit von ihnen zurückziehen könnten; andererseits fürchten sie Mißerfolg, der eine Gefahr für ihr Selbstwertgefühl darstellt. Der Konflikt vieler junger Frauen besteht nach Scheu (1977) insofern in der "Wahl" zwischen der "Entfremdung von ihrer eigenen Geschlechtsrollenzuweisung" und der "Entfremdung von ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten". 56

In enger Verbindung mit den Rollenmodelleffekten stehen die Einstellungen und Erwartungen von Eltern, als Rahmenbedingungen für den Erziehungs- und Sozialisationsprozeß des Kindes. Die Aufgabenverteilung im Elternhaus zwischen Mutter und Vater, aber auch die Geschlechtsrollenvorstellungen der Eltern beeinflussen die Interessen eines Mädchens für "untypische" Hobbies, Studiengänge oder Berufe. Metz-Göckel (1988) hat herausgefunden, daß die Berufstätigkeit der Mutter einen positiven Einfluß bei Mädchen auf die Wahl von Chemie oder Informatik als Hauptfach hat. Wenn Mütter dagegen die traditionelle Rolle für sich selbst und für ihre Töchter übernehmen, war das umgekehrte Wahlverhalten dominant. Faulstich-Wieland (1988a,b) haben festgestellt, daß viele Mütter die Ansicht vertreten, Mädchen benötigten keine Computerkenntnisse. Auch die Hilfestellung bei den Hausaufgaben trägt zur Stereotypisierung von Mathematik, Naturwissenschaften und Technik als "männliche" Aufgaben bei (Parsons et al., 1982). Der Vater hilft in der Regel nur bei gesellschaftlich geprägten "männlichen" Fachgebieten, während die Mutter bei allen anderen Hausaufgaben (vor allem Sprachen und Literatur) die größere Rolle spielt (Raymond & Benbow, 1986; 1988a/b). Mathematik und Physik bilden aber die Grundlagen für technisches Verständnis. Insgesamt haben Jungen einen anderen Erlebnishintergrund als Sozialisationsbedingung. Sie haben durch signifikant häufigeren Umgang mit technischem Spielzeug, Werken, Basteln, Büchern und Baukästen einen Erfahrungsvorsprung, der für Mädchen später schwer aufzuholen ist (Hoffmann & Lehrke, 1986; Johnson, 1987a/b; Hannover et al., 1989; Hannover, 1991). Denn gemäß einer Untersuchung von Cooper & Robinson (1989) spielen die Interessen und Aktivitäten in der frühen Kindheit eine Rolle für die Entwicklung derjenigen Fähigkeiten, die für gute Leistungen in M a thematik und Physik nötig sind. Junge Frauen, die eine Ausbildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich begonnen hatten, berichteten häufig über männliche und androgyne Jugendaktivitäten. Von besonderer Bedeutung sind die elterlichen subjektiven Ursachenzuschreibungen bei der Entstehung von Interessen und der Begabungsentwicklung. Wie Yee & Eccles (1988) feststellten, erklären die Eltern L e n stungserfolge der Töchter bevorzugt mit Fleiß und Anstrengung, die der/^. Söhne dagegen mit Fähigkeiten und Begabung. Die Leistungsattribution der Töchter ist eher "instabil" im Sinne von Heider (1958; vgl. Kapitel 5, 57

S. 45 oben). Die Kausalattribution auf "Begabung" ist für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Motivation günstiger, da Anstrengung zeit- und kraftaufwendig und somit ein überdauerndes Engagement weniger wahrscheinlich zu erwarten ist. Holloway (1986) untersuchte mütterliche Attributionen für mathematische Leistungen. Dabei wurden fünf Variablen anhand eines Interviews mit der Mutter erfaßt: Begabung des Kindes, Anstrengung, schulisches Training, Training zu Hause und Glück. Interessant war hier das Ergebnis, wonach Mütter die Leistung der Jungen und Mädchen gleich einschätzten, aber die Voraussetzungen für diese Leistungen unterschiedlich beurteilten. Mädchen brauchten, so die Aussagen der meisten Mütter, mehr Anstrengung, um gute Leistungen zu erbringen, Jungen hingegen seien von Natur aus dafür begabt. Mißerfolg hätten Jungen meistens deshalb, weil sie sich nicht anstrengten, Mädchen dagegen, weil sie weniger dafür befähigt seien. Parsons, Adler & Kaczala (1982) haben eine detaillierte Untersuchung zur Rolle der elterlichen Unterstützung sowie von Geschlechtsrollenstereotypen in bezug auf Mathematik durchgeführt. Ziel des Forschungsteams war es, die zwei folgenden Hypothesen zu überprüfen. Die Rollenmodellhypothese nimmt an, daß Mädchen andere leistungsbezogene Entscheidungen und niedrigere Erwartungshaltungen als Jungen aufweisen, weil Mütter andere Leistungseinstellungen bzw. Verhaltensmerkmale zeigen als Väter. Gemäß der Erwartungshypothese haben Eltern unterschiedliche Erwartungen und Einstellungen in bezug auf die Fähigkeiten ihrer Söhne und Töchter. Diese Einstellungen könnten Geschlechtsunterschiede im Bereich der Erwartungen des Kindes, seines Selbstkonzepts und seiner Einschätzung der Aufgabenschwierigkeit vorhersagen. Zur Überprüfung dieser Hypothesen wurden die Schüler und Schülerinnen von 22 Klassen sowie ihre Eltern per Fragebogen erfaßt, wobei u.a. folgende Themenbereiche erfragt wurden: Schwierigkeit mit Mathematik jetzt und in der Zukunft; gegenwärtige und zukünftige Erwartungen bezüglich Mathematikleistungen; Selbstkonzept in Mathematik sowie die Wahrnehmung der Anstrengung, die für Mathematik nötig ist. Die wichtigsten Ergebnisse hieraus sind folgende. Es wurden die mathematikbezogenen Selbstkonzeptwerte der Väter und Mütter mit den Angaben ihrer Kinder verglichen. Väter berichteten häufiger, daß sie in Mathematik besser gewesen (und es immer noch) seien als 58

die Mütter, und daß sie sich nicht dafür anstrengen müßten. Sie gaben ferner an, daß Mathematik ihnen mehr Spaß mache, daß diese immer wichtig gewesen sei und auch gegenwärtig noch wichtiger sei als für die Mütter. Andererseits waren die Schulnoten der Mütter durchschnittlich besser als die der Väter. Um nun die Rollenmodellhypothese zu verifizieren, müßten die Aussagen des Kindes über Fähigkeiten und Interessen der Eltern in bezug auf Mathematik mit denen der Eltern stark korrelieren. Keine der über 400 Korrelationen erfüllte dieses Kriterium, so daß die erste Hypothese nicht bestätigt werden konnte. Die Erwartungshypothese konnte jedoch durch viele signifikante Ergebnisse nachgewiesen werden: Eltern können bei ihren Kindern zu geschlechtsspezifischen Einstellungen in bezug auf Mathematik beitragen, indem sie ihnen Botschaften über eigene Bewertungen hinsichtlich der Bedeutung von Mathematik übermitteln. Trotz der Tatsache, daß Jungen und Mädchen durchschnittlich gleiche Leistungen erbringen, hat das Geschlecht des Kindes einen signifikanten Einfluß auf die elterliche Wahrnehmung der Begabung und relativen Wichtigkeit einzelner Schulfächer. Mütter schätzen die Anstrengung sowie die Schwierigkeit der Aufgabe für ihre Töchter höher ein als für ihre Söhne. Ganz allgemein erachten sie die Tragweite der Mathematik für die Söhne relevanter als für ihre Töchter. Ähnliche Angaben machten die Väter. Zusätzlich bewerteten diese ihre Söhne in den Variablen "Unterstützung" und "Freude an Mathematik" sowie der Wahrnehmung von Schulleistung höher. Für ihre Töchter dagegen gewichteten sie die nicht-mathematischen Schulfächer stärker als die Mütter. Die Selbstbeurteilungsergebnisse der Jugendlichen deuten an, daß Mädchen meinen, sich mehr anstrengen zu müssen, um eine gute Note zu erhalten als Jungen. Die Eltern verstärken diese Neigung noch. Sowohl Mädchen als auch deren Eltern glauben (im Gegensatz zu Jungen und deren E l tern), daß die Fortsetzung von Mathematik für sie nicht so wichtig sei. Deutlich wurde eine Beziehung zwischen elterlichen Erwartungen und Einstellungen der Kinder in der statistischen Analyse: So korrelieren die Selbstwahrnehmungen,

Erwartungen und Bewertungen der Aufgaben-

schwierigkeit von Kindern konsistent sowohl mit ihrer Wahrnehmung der Einstellungen und Erwartungen der Eltern als auch mit der tatsächlichen Einschätzung von Eltern bezüglich der Fähigkeiten ihres Kindes. Diese Ergebnisse legen nahe, daß Eltern die Leistungen ihrer Kinder we59

niger durch Rollenmodelle beeinflussen, sondern vielmehr als Erwartungsträger in bezug auf die Begabung ihrer Kinder. Dadurch, daß sie bevorzugt die Leistungen ihrer Töchter durch Anstrengung und die der Jungen durch Begabung erklären, vermitteln Eltern ihren Kindern unterschiedliche Erklärungs- und Einstellungsmuster hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, obgleich sie eigentlich identische Leistungs- und Erfolgserfahrungen bei Jungen und Mädchen beobachten (müßten). Visser (1987b) hat eine großangelegte Untersuchung (1605 Schüler und Schülerinnen, 1186 Väter und 1320 Mütter) über Elterneinstellungen zu Mathematik durchgeführt. Dabei wurden einerseits elterliche Unterstützung und Erwartungen erfaßt, andererseits die Wahrnehmung des Elternverhaltens durch die Töchter und Söhne. Diese Studie sollte die Hypothese der differentiellen Sozialisation überprüfen: Haben die Eltern einen geschlechtsspezifischen Einfluß auf das Verhalten ihrer Kinder in bezug auf Mathematik? Diese Annahme wurde im Zusammenhang mit den Hypothesen der Rollenmodellwirkung und der Elternerwartung untersucht. Sowohl Eltern als auch Kinder wurden entsprechend befragt. Zusätzlich wurde die tatsächliche Mathematikleistung der Kinder erhoben. Wie die Ergebnisse zeigen, ist für Jungen eine signifikant positivere Wahrnehmung der Einstellungen ihrer Mütter und Väter zu den eigenen Lernfähigkeiten in Mathematik charakteristisch. Mütter und Väter bewerten Mathematik als wichtiger für ihre Söhne als für ihre Töchter. Väter stereotypisieren Mathematik häufiger als ein männliches Fach als die Mütter. Geschlechtsunterschiede zugunsten der männlichen Probanden waren allerdings erst ab der neunten Klasse signifikant. Die Wahrnehmung der Schüler sowie das tatsächliche Verhalten der Eltern belegen, daß Jungen in bezug auf elterliche Unterstützung und Erwartungen bevorzugt werden. Bemerkenswert ist, wie sich diese Unterschiede von der siebten bis zur neunten Klasse entwickeln: Die Erwartungen der Eltern spielen bei den Mädchen eine wichtigere Rolle als bei den Jungen. Denn die Jungen treffen ihre Entscheidungen für oder gegen den weiteren Besuch von Mathematikkursen in der Schule weitgehend unabhängig von ihren Eltern. Mädchen in der neunten Klasse dagegen legen viel mehr Wert auf die Meinung und Erwartungen der Eltern. Da die Schüler und Schülerinnen eben in dieser Altersstufe die Leistungskurse wählen, scheint der Einfluß der Bezugspersonen, vor allem bei Mädchen, auf die Entscheidung der zukünftigen Fach60

richtung besonders gravierend zu sein. Bestätigt wird diese Vermutung auch durch eine aktuelle Fragebogenstudie

an der Universität Berlin

(Hannover, 1991). Mädchen erwarteten weniger Anerkennung von ihren Bezugspersonen für ein naturwissenschaftlich-technisches Engagement als Jungen, und diese normativen Angaben entsprachen exakt den Angaben zu den Berufswünschen. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Forschungsergebnisse zum Thema "elterliche Einstellungen und Erwartungen bezüglich Mathematik und Naturwissenschaften" nicht einheitlich sind. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, daß eine Vergleichbarkeit der Studien durch die Verwendung unterschiedlicher Konstrukte und die Befragung verschiedener A l tersgruppen erschwert wird. Auch wurden nicht immer beide Elternteile getrennt befragt. Geschlechtsspezifische Einstellungen und Sozialisationspraktiken könnten jedoch bei Müttern und Vätern unterschiedlich ausgeprägt sein. Die verwendete Methodik kompliziert ebenfalls die Affinität der Ergebnisse. In manchen Untersuchungen wurden die Jugendlichen über die Einstellungen ihrer Eltern befragt (Erfassung fremdperzipierter Einstellungen), in anderen nur die Eltern über ihre eigenen Praktiken. Insgesamt gesehen überwiegen die Befunde, die daraufhin deuten, daß Eltern ihre Töchter bezüglich der Mathematikbegabung allgemein ungünstiger einschätzen als ihre Söhne. Die Übertragung der (positiven) Elternerwartung auf die Kinder ist nach diesen Ergebnissen jedoch ein wesentlicher Einflußfaktor auf die Leistung. Durch Internalisierung dürfte somit das Begabungsselbstkonzept, sowohl allgemein als auch speziell hinsichtlich mathematisch-naturwissenschaflticher Fächer, der jungen Frauen negativ beeinflußt werden. Die Rollenmodellhypothese i.e.S. ließ sich dagegen nicht bestätigen. Vielmehr scheinen Zusatzfaktoren nötig zu sein (z.B. die Vermittlung von Einstellungen), um die Imitation des gleichgeschlechtlichen Elternteils zu ermöglichen. Ähnliche Attributionsmuster wie bei Eltern sind bei Lehrern und Lehrerinnen nachgewiesen worden. Mädchen werden in der Schule vor allem für Fleiß und Sorgfalt gelobt, Jungen dagegen bevorzugt für gute Leistungen (Hoffmann, 1988a/b). Malcolm (1988) berichtet von Ergebnissen einer Attributionsstudie, bei der die Lehrer die Mädchen als "fleißig und ordentlich", die Jungen als "wissenschaftlich und ideenreich" beschrieben. Jungen werden generell als begabter eingestuft, und die Lehrkräfte beschäftigen 61

sich außerhalb der Schulzeit mehr mit ihnen (BenTsyi-Mayer, Herzt-Lazarowitz & Safir, 1989). Die geschlechtsspezifischen Fähigkeitszuschreibungen der Lehrer sind bei älteren Schülern stark ausgeprägt und gemäß einer Studie von Chipman & Thomas (1987) möglicherweise einflußreicher als die der Eltern. Dies könnte dazu führen, daß die Mädchen bei zunehmendem Schwierigkeitsgrad (z. B . bei Leistungskursen in Mathematik und Physik) lieber an Kursen teilnehmen, von denen sie glauben, nicht nur durch Anstrengung und Fleiß Erfolg zu erzielen, sondern auch durch ihre Fähigkeiten. Ein weiterer Einflußfaktor auf die Leistung und das Selbstkonzept der eigenen Begabung scheint die Beurteilung von Begabungsunterschieden durch die Lehrer und Lehrerinnen zu sein. Mädchen werden seltener als be\

gabt identifiziert, d.h. Jungen werden trotz identischer Arbeitsleistung im Durchschnitt als begabter für naturwissenschaftliche Fächer beurteilt (Fox & Zimmermann, 1985; Hoffmann, 1988a). In einer deutschen Evaluationsstudie zu Begabtenförderkursen in der Sekundarstufe stellten die betreffenden Lehrkräfte ebenfalls keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen fest bezüglich Lernfortschritt, AG-Leistung, Interesse, Kreativität der Beiträge und Mitarbeit. Hingegen ergaben sich signifikante Unterschiede in der Fähigkeitseinschätzung (zuungunsten der Mädchen) und in der K o operationsbeurteilung (zugunsten der Mädchen). In guter Übereinstimmung zu den oben berichteten Ergebnissen über Eltemeinstellungen steht auch folgender Detailbefund, wonach die Lehrer/innen bei Übernahme einer Begabtenförder-AG zum Schuljahresanfang den Mädchen in der A G geringere Leistungsfähigkeit (im Rating) prognostizierten als den Jungen, während sie am Schuljahrende bei der Leistungsdiagnose keine Geschlechtsunterschiede feststellen konnten (Heller, 1990c, S. 120ff; Hany & Heller, 1991a, S. 67ff.). Lehrkräfte haben also offensichtlich eine geschlechtsstereotype Wahrnehmung von Begabungsunterschieden, die im Zusammenhang damit steht, daß sie Physik und Chemie als männliche Disziplinen ansehen (Spear, 1988). Eine Analyse der Inhalte von deutschen Schulbüchern zeigt, daß sich die Geschlechterstereotypisierung auch hier niederschlägt. Dabei ist nicht nur von Bedeutung, welches Frauen- und Mädchenbild den Schülerinnen vermittelt wird, sondern, und dies gilt insbesondere im Bereich der Technik, was ihnen an Wissen vorenthalten wird. Selten sieht man ein Mädchen mit 62

einem wissenschaftlichen Gerät. Frauen oder Mädchen werden, wenn überhaupt, in Assistentinnenrollen oder in Frauenberufen (z.B. Krankenschwester) abgebildet (Pfister, 1988). Der weibliche Aktionsradius beschränkt sich auf die Familie, während der Mann als öffentlicher Handlungsträger erscheint (Metz-Göckel & Nyssen, 1990). Auch die Unterrichtsgestaltung ist weniger geeignet, Mädchen zu motivieren und zu interessieren. Junge Frauen haben einen anderen Sozialisationshintergrund, d.h. ihre außerschulische Erfahrungsumwelt unterscheidet sich wesentlich von der der Jungen. Die Schülerinteressen an Physik und Technik sind, wie bereits dargestellt wurde, geschlechtsspezifisch ausgeprägt (Hoffmann & Lehrke, 1986). Mädchen zeigen am Umgang mit bestimmten technischen Geräten und an Naturphänomenen ein starkes Interesse. Diese Gebiete werden aber im Physikunterricht zu wenig berücksichtigt. Den Einfluß schulischer Programme und Einrichtungen auf die Leistungen, speziell der älteren Schülerinnen, bestätigt eine Analyse von 1247 mathematisch talentierten Jugendlichen (Benbow & Arjmand, 1990). Aufschlußreich sind auch die Befunde zur geschlechtsspezifischen Interaktionsstruktur im Unterricht. In der Schulklasse werden Jungen im Unterricht häufiger aufgerufen als Mädchen, d.h. sie werden mehr beachtet (Reis & Callahan, 1989). Jungen werden in der Schule etwa zwei Drittel der Aufmerksamkeit zuteil, auch wenn sie in der Minderzahl sind. Besonders stark dominieren die Jungen das Unterrichtsgeschehen in den mathematisch-naturwissenschafltichen Fächern (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, 1990b). Ähnliche Beobachtungen machten Enders-Dragässer & Fuchs (1988) bei der Analyse der Interaktion im Physikunterricht zwischen Lehrerinnen und Mädchen bzw. Jungen. Sie zeichneten Videos von Unterrichtsstunden an unterschiedlichen Schulen und in unterschiedlichen Fächern auf und stellten so Differenzen in der Quantität der Interaktion sowie der Belohnungsstruktur fest. Nachdem die Klasse in eine Mädchen- und eine Jungengruppe geteilt worden war, nahm die Fachlehrerin den gleichen Stoff in zwei

aufeinanderfolgenden

Stunden jeweils mit den Mädchen und den Jungen der Klasse durch. Die Aufgabe, die von der Lehrerin in beiden Klassen gestellt wurde, bestand darin, die Funktionsweise eines an die Tafel gezeichneten Dynamos zu erklären, die entsprechenden Leitungen und Kabelverbindungen einzuzeichnen und die Einzelteile des Dynamos zu benennen. Anschließend wurde die Leistung offen benotet. Da die gestellte Aufgabe subjektives Ermessen in der Beurteilung der Leistung weitgehend

63

ausschloß, richtete sich die Aufmerksamkeit der Beobachterinnen auf die Kommunikation an der Tafel. Bewertungskriterien für die Interaktionsstruktur waren beispielsweise, inwieweit "Hilfen" von der Lehrerin gegeben wurden, die Klassenatmosphäre, die Dauer der Problemlösung u.a.

Die Qualität der Interaktionen an der Tafel war deutlich geschlechtsabhängig: Die Wechselbeziehung mit den Schülerinnen an der Tafel dauerte im Durchschnitt 5 Minuten, die mit den Schülern 7 Minuten. Pausen wurden von der Lehrkraft bei Schülerinnen seltener überbrückt. Die Atmosphäre in der Mädchengruppe konnte als gespannt beschrieben werden, es gab im Unterschied zur Jungengruppe kaum Scherze und Lachen, die mit dem Unterrichtsstoff zu tun hatten. Die Bewertung von Mädchen an der Tafel war eher negativ und hatte rhetorischen Charakter, die Bewertung von Jungen unterstellte, nach Angaben der Autorinnen, die Handlungsfähigkeit und die Beeinflußbarkeit der Bewertung durch den Schüler. Unklar in dieser Studie mit einzelnen Schülern und Schülerinnen (als Versuchspersonen) bleibt allerdings die Validität solcher Aussagen und die Frage der Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Denn eine Interaktion ist stark abhängig von den Handlungsweisen der einzelnen beteiligten Personen. Ähnliche Beobachtungen werden vom Computerunterricht in der Schule berichtet. Hier kommt erschwerend hinzu, daß sich wesentlich mehr männliche als weibliche Lehrer für entsprechende Fortbildungsveranstaltungen interessieren. Dies liegt sicherlich auch daran, daß Lehrer mehr Zeit dafür haben, während Lehrerinnen nicht selten einer doppelten Belastung durch Beruf und Familie ausgesetzt sind. Männliche Lehrkräfte bestätigen somit indirekt das Vorurteil, daß Computer eine männliche Domäne seien (vgl. auch Metz-Göckel et al., 1991).

Exkurs über die Koedukationsdebatte Während bis vor kurzem die meisten Pädagogen, Erzieher und Lehrer beiderlei Geschlechts im koedukativen Unterricht den Inbegriff eines emanzipatorischen Ansatzes sahen, wodurch sowohl für Mädchen als auch für Jungen ein gleichartiger und optimaler Zugang zu allen Bildungsangeboten gewährleistet würde, führte die jüngste geschlechtsspezifische Sozialisationsforschung zu erheblichem Aufsehen und einer Beunruhigung über die gemischtgeschlechtliche öffentliche Erziehung. Die wieder aufgegriffene Diskussion über Sinn und Problematik der Koedukation beruht auf For64

schungsergebnissen, die gezeigt haben, daß die formale Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen im Bildungswesen — der eigentliche Zielanspruch der Koedukation — in Wirklichkeit eine "substantielle Ungleichbehandlung" zu Lasten der Mädchen erzeugt (Pfister, 1988). Forderungen wie "Ausstieg aus der Koedukation" und "Einrichtung einer autonomen Mädchenbildung" werden deshalb immer häufiger erhoben. Sind sie aber auch berechtigt? Kritische Überlegungen über die Auswirkungen der Koedukation haben neue Befunde ans Licht gebracht. So berichtet etwa Huber (1989) folgende Ergebnisse: — Zwischen 1971/72 und 1984/85 hat sich die Anzahl der Studierenden an den bundesdeutschen Hochschulen fast verdoppelt, während der Anteil der Studentinnen unverändert bei ungefähr 1/3 liegt. Im SS 1989 betrug ihr Anteil knapp 40% (vgl. S. 21 oben); — Seit 1980 ist ein Rückgang der Studierwilligkeit zu beobachten, wobei dieser 13% Abiturientinnen, aber nur 5% Abiturienten betrifft; — Trotz positiver Berufschancen hat sich der Anteil der Frauen im Informatikstudium verringert; — Trotz Verschlechterung der Berufschancen im Schulbereich (beliebtes Berufsziel von Frauen) zeichnet sich keine Umorientierung der Frauen auf "männerspezifische" Studiengänge ab. "Zwar haben Frauen allgemein gute Voraussetzungen für ein Studium (keine formalen Diskriminierungen; ca. 52% der Abiturienten sind weiblichen Geschlechts, und Mädchen zeigen sich zunehmend berufsorientiert), doch nehmen sie ihre Chancen weitaus weniger wahr, als das Männer tun" (Huber, 1989). Eine Studie an der Dortmunder Universität über den "Studienverlauf und Berufseinstieg von Frauen in Naturwissenschaft und Technologie — Die Chemikerinnen und Informatikerinnen" ergab, daß ein hoher Prozentsatz dieser Studentinnen von Mädchenschulen kommen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung betrug der Anteil von Mädchenschulen in Nordrhein-Westfalen 5%, aber 35% der befragten Frauen haben auf einer Mädchenschule Abitur gemacht (vgl. Tabelle 6). Sofern dieser Statistik überregionale Repräsentanz zuerkannt werden kann (was niemand bisher in Zweifel zog), wäre nach den Gründen für einen möglichen inhaltlichen Zusammenhang zwischen koedukativer Erziehung und Festigung einer geschlechtsspezifischen Interessenausprägung 65

zu fragen. Die Autoren der erwähnten Studie kommen zu folgenden Überlegungen: "Moderne Mädchenschulen unterstützen bzw. fördern bei ihren Schülerinnen ein breites Interessenspektrum. In einem rein weiblichen Bezugsrahmen verläuft die Interessenentwicklung von Mädchen für Mathematik und Naturwissenschaften ohne Konkurrenz zu Jungen. Die zunehmend in den Schulen eingeführten Informatik-Arbeitsgemeinschaften und Informatikkurse werden — in koedukativen Schulsystemen — rasch zu reinen Jungendomänen und halten damit die Mädchen von einer entsprechenden Studienentscheidung ab. Damit verengen sich für die Schülerinnen die Einstiegsmöglichkeiten für ein Informatikstudium" (Roloff et al., 1987, S. 13). Tabelle 6: Besuchter Schultyp der Chemie- und Informatikstudentinnen an der Universität Dortmund Studienfach

Mädchenschule

Koedukative Schule

absolut

in %

absolut

in %

Informatik

44

35,5

80

64,5

Chemie

22

36,1

Insgesamt

66

35,7

39 119

63,9 64,3

(Roloff et al., 1987, S. 13)

Vielleicht liegt hierin eine Erklärung für die sinkende Zahl von Informatikerinnen in den letzten fünf Jahren. Seit Beginn dieses Rückgangs ist es möglich, in der Schule Informatik als Leistungskurs oder Wahlfach zu belegen. In der Schule lassen sich die Jungen — so zeigen Beobachtungen — schneller von solch einem Angebot begeistern als die Mädchen, die zudem weniger Vorerfahrung mitbringen. Dies führt häufig zu einer Tendenz der Jungen, die betreffenden Lerngruppen zu dominieren. Metz-Göckel et al. (1991) beobachteten, daß sich in den Computerkursen im koedukativen Rahmen von selbst geschlechtshom*ogene

Lerngruppen gebildet haben.

"Pointiert formuliert lernen Mädchen und Jungen in koedukativen Zusammenhängen nicht gemeinsam, sondern getrennt voneinander" (S.164). Dies läge daran, daß Jungen sofort die Regie am Computer übernehmen wollen und Mädchen sich ihnen gegenüber nur schwer durchsetzen könnten. Um einer Verfestigung der Stereotype — männliches Dominanzverhalten vs. weibliche Kooperationsbereitschaft — entgegenzuwirken, halten die Auto66

Tabelle 13: Pro- und Contra-Argumente zur Koedukation Pro

Contra

Unterrichtsstoff: Beide Geschlechter bekommen das gleiche Wissen vermittelt (keine Fächer des "Frauenschaffens", kein "Puddingabitur").

Unterrichtsstoff: Der Stoff ist überwiegend an männlichen Interessen ausgerichtet und bietet nur geringe und eingeschränkte Identifikationsmöglichkeiten für Mädchen. In Mathematik/Naturwissenschaften zeigen die Jungen die größeren Interessen.

Interaktion: Mädchen und Knaben lernen, Kameradschaft miteinander zu halten, den gleichberechtigten Umgang miteinander. Dies ist wichtig für den späteren Beruf und das Familienleben.

Interaktion: Jungen werden mehr beachtet, gelobt, getadelt, Mädchen erhalten nur geringe Aufmerksamkeit und müssen unter der Dominanz der Jungen (Disziplinprobleme) leiden.

Sexualität: Die sexuellen Spannungen, insbesondere in der Pubertät, werden normalisiert. Übertriebene erotische Phantasien werden auch in bezug auf Schwärmereien für Lehrerinnen und Lehrer vermieden.

Sexualität: Insbesondere die Mädchen geraten unter sexuellen Leistungsdruck. Die sexuelle Liberalisierung und die allgemeine Verfügbarkeit der Verhütung zwingt sie oft zu frühem Geschlechtsverkehr, um die A n erkennung der Jungen, aber auch der Mädchen, nicht zu verlieren.

Lehrperson: Die Orientierung an weiblichen und männlichen Lehrpersonen bietet für beide Geschlechter vielfältige Erfahrungen und eine Identifizierungsmöglichkeit.

Lehrperson: Lehrerinnen und Lehrer haben implizite Geschlechtsstereotype (interessanter, kluger Junge gegen fleißige, angepaßte Schülerin) und bestätigen durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen diese Stereotypen. Frauen sind in der schulischen Hierarchie überwiegend auf dem unteren Level zu finden.

Folgen: Mädchen haben bessere Noten und zunehmend bessere Schulabschlüsse, Mädchen und Jungen lernen außerdem, konkurrenzfähiger gegeneinander zu werden.

Folgen: Jungen reagieren ihre Unterlegenheitsgefühle durch erhöhte A g gression gegenüber Schülerinnen und Lehrerinnen ab. Mädchen haben ein geringeres Anspruchsniveau und neigen zu eingeschränkten Berufswahlen (Frauenberufe^

(Prengel et al., 1987, S. 158f.)

67

rinnen, zumindest zeitweise, eine Trennung beim Computerunterricht für unumgänglich. Ähnliches berichten Faulstich-Wieland & Dick (1989) von einem Modellversuch "Mädchenbildung und neue Technologien", durchgeführt an zwei Frankfurter Gesamtschulen: "In gemischten Gruppen waren im Sozialverhalten während der Arbeit am Computer eindeutig geschlechtsspezifische Unterschiede wirksam. Die Dominanz der Jungen, die sich in Demonstration von Wissen und in wenig Kooperationsbereitschaft äußerte, schüchterte die Mädchen teilweise ein" (S. 67). Eine Zusammenstellung der Vor- und Nachteile koedukativer Erziehung anhand neuerer Forschungsergebnisse hat Brehmer (in Prengel et al., 1987) vorgenommen (vgl. Tabelle 13). Daß reine Mädchenschulen eine förderliche Wirkung auf die Interessen, speziell mathematisch-naturwissenschaftlicher Inhalte, haben, ergab eine Studie an der Universität Marburg, die an vier Gymnasien der 12. Jahrgangsstufe (341 Schüler und Schülerinnen) durchgeführt wurde. "An Technik und Naturwissenschaften sowie Mathematik haben die Schülerinnen der reinen Mädchenschulen mehr Interesse als die Schülerinnen der koedukativen Schulen. In Mathematik erreichen sie die Werte der Schüler, in Technik und Naturwissenschaften liegen sie zwischen den Schülern und Schülerinnen der reinen Mädchenschulen. Letzteres gilt auch für das Selbstbild eigener Leistungsfähigkeit hinsichtlich mathematisch-naturwissenschaftlicher Inhalte: Die Schülerinnen der reinen Mädchenschulen sind diesbezüglich überzeugter von ihren eigenen Fähigkeiten als die Schülerinnen der koedukativen Schulen, aber nicht so überzeugt wie die untersuchten Schüler" (Holz-Ebeling & Hansel, 1992, im Druck). Diese Tendenz zeigt sich auch an der Leistungskurswahl und der Geschlechtstypik der Ausbildungswünsche. In Mädchenschulen fielen diese Präferenzen weniger typisch weiblich aus. Insgesamt stellen sich die Ergebnisse dieser Studie so dar, daß Schülerinnen der Mädchenschulen im mathematischen

Bereich

mehr Interesse aufweisen, ein besseres Selbstkonzept eigener Fähigkeiten haben sowie mehr Leistungskursbelegung, speziell in Chemie und Physik, zeigen. Ob eine Trennung der Geschlechter im Bildungswesen als durchgängiges Prinzip eine Patentlösung darstellt, um emanzipatorische Ansätze zu entwickeln, muß allerdings bezweifelt werden. Vielmehr müßten innerhalb des koedukativen Systems die Rahmenbedingungen für eine Förderung von 68

Mädchen erarbeitet und anschließend konkretisiert werden. Bezüglich der Lehrinhalte in Mathematik und Naturwissenschaften bzw. Technikfächern sollte eine Sensibilisierung angestrebt werden, die es Mädchen ermöglicht, sich in diesen Bereichen zu bewähren. Auf entsprechende Vorschläge werden wir im Teil III eingehen.

69

Kapitel 7 Integrative Ansätze zur Erklärung geschlechtsspezifischer Differenzen bei beruflichen und schulischen Entscheidungen Erklärungsansätze für geschlechtsspezifische Unterschiede bei schulischberuflichen Entscheidungen hinsichtlich Mathematik, Naturwissenschaften und Technik beziehen sich auf verschiedene Grundannahmen, die ihren Ursprung in den biologischen, den persönlichkeitspsychologischen, den sozialisationstheoretischen bzw. pädagogischen Theorien haben. Die Berufswahl, die Anstrengungsbereitschaft und Leistung in einem speziellen Fachgebiet werden jedoch nicht durch einen einzelnen Faktor beeinflußt, sondern sind allenfalls durch eine Kombination unterschiedlicher Einflußgrößen erklärbar. Einige dieser Variablen und ihre kausalen Beziehungen wurden in Modelle einbezogen, wobei sich die einzelnen Ansätze in bezug auf ihren Komplexitätsgrad unterscheiden. Diese integrativen Modelle beziehen sich einerseits auf empirische Forschungsergebnisse, andererseits machen sie darüber hinaus gehende Annahmen, die durch Interventionsstudien noch zu überprüfen sind. Kulm (1980; zit. nach Reyes, 1984) stellt in seinem Modell eine Beziehung zwischen Einstellungen und dem Verhalten her (vgl. Abbildung 2). Jeder Einflußfaktor kann positiv oder negativ sein, und erst die Summe entscheidet über das konkrete Verhalten. Die Einstellung (A) kann positiv (mag Mathematik gerne) oder auch negativ (mag Mathematik überhaupt nicht) sein. Der vermittelnde Faktor (B) ist beispielsweise ein Lehrer, den man mag (positiver Faktor) oder aber das Gefühl, daß Mathematik als Studienfach nicht geeignet ist (negativer Faktor). Die Lernsituation (C) beinhaltet verschiedene Möglichkeiten, wie etwa die Schwierigkeit oder Bedeutung der Aufgabe oder der dafür benötigte Zeitaufwand. Das Verhalten als Resultat der Größen A, B und C variiert dann etwa in der Art und Weise der Beschäftigung mit einer Aufgabe, der Ausdauer bei Hausaufgaben oder der Bewältigung auch komplizierter Aufgaben.

70

Hypothesen, die gemäß diesem Modell formuliert werden können, lauten beispielsweise folgendermaßen (vgl. Reyes, 1984, S.375f.): — Mädchen, die Physik als wichtig erachten, werden bei einer schwierigen Aufgabe mehr Ausdauer zeigen als jene, die Physik als unwichtig ansehen, auch wenn diese die Aufgabe als schwierig empfinden und der Lehrer unbeliebt ist. — Schülerinnen, die Physik als männliches Fach stereotypisieren, werden es weniger wahrscheinlich als Leistungsfach wählen, unabhängig von der Lernsituation und unabhängig davon, wie sehr sie Physik interessiert, als jene Schülerinnen, die Physik nicht als inkongruent mit ihrer weiblichen Geschlechtsrolle ansehen. — Schülerinnen, die eine Aufgabe häufig als zu schwierig für sich ansehen, werden Mathematik ablehnen, unabhängig von dem vermittelnden Faktor und der Lernsituation. Bei dieser Hypothese ist die Einstellung die abhängige Variable. Einstellungen

Vermittelnde Faktoren

Lernsituation

Verhalten

Abb. 2: Modell der Beziehung Einstellung-Verhalten (nach Kulm, 1980)

Das Modell von Kulm hat den Vorteil, daß nicht nur die Einstellung und das Verhalten als Einflußvariablen berücksichtigt werden, sondern auch das Zusammenwirken mit externen Faktoren analysiert wird, z.B. Lernsituation und vermittelnde Faktoren. 71

Fennema & Peterson (1985) legen in ihrer theoretischen Konzeption das Schwergewicht auf bestimmte Verhaltensweisen, die sie als wesentlich für Problemlöseaufgaben in Mathematik erachten (vgl. Reyes, 1984). Dahinter steht die Auffassung, daß die Problemlösefähigkeit für mathematische Kompetenz eine Schlüsselrolle einnimmt. Um nun komplexe mathematische Aufgaben zu lösen, muß die Person in der Lage sein, unabhängig zu arbeiten, Ausdauer zu haben, solche Aufgaben freiwillig zu wählen und bei der Lösung erfolgreich zu sein. Diese Verhaltensweisen nennen die Autorinnen "autonomes Lernverhalten" (vgl. Abbildung 3). Die Annahmen des Modells beinhalten, daß sowohl interne als auch externe Faktoren das autonome Lernverhalten beeinflussen sowie Frauen und Männer sich in diesem unterscheiden, was differierende Leistungen in Mathematik zur Folge hat. Internale motivationale Einstellungen repräsentieren in diesem Modell verschiedene Komponenten, die sich auch gegenseitig beeinflussen:

die

Selbstsicherheit in bezug auf das Erlernen von Mathematik, den Wert, der Mathematik zugemessen wird, die Ursachenzuschreibung für Erfolg und Mißerfolg und die Auffassung, ob gute mathematische Leistung mit der Geschlechtsrollenidentität im Einklang steht. Wichtigste externe Einflüsse sind das Klassenklima und die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler.

Internale motivationale Einstellungen

Autonomes Lernverhalten

Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Mathematikleistungen

i Externale/gesellschaftliche Einflüsse

Abb 3: Modell des autonomen Lernverhaltens (nach Fennema & Peterson, 1985)

Das Modell nimmt einen Zusammenhang zwischen den internalen motivationalen Einstellungen und dem autonomen Lernverhalten sowie dem Klassenumfeld an. Zentral ist hierbei die Variable "selbständiges Lernen", die durch internale und externale Faktoren derart beeinflußt wird, daß sich geschlechtsspezifische Leistungsdifferenzen in Mathematik ergeben. A n 72

hand dieser Wechselbeziehung ist beispielsweise zu überprüfen, wie die Situation in der Klasse bzw. die Ausdauer des Schülers oder der Schülerin das Lernverhalten beeinflussen. Das Modell von Eccles (1985b, S. 266 ff.) integriert viele Forschungsergebnisse zum Thema geschlechtsspezifischer Unterschiede, vor allem in bezug auf Mathematik u.a.. Es übernimmt Teilaspekte aus der Entscheidungs-, Leistungsmotivations- und Attributionstheorie und wurde ursprünglich konzipiert, um die Entscheidung von Studenten und Studentinnen, fortgeschrittene Mathematikkurse zu belegen, zu erklären. Es kann aber ohne weiteres erweitert werden, um andere entscheidungsbezogene Leistungskriterien miteinzubeziehen, z.B. Leistungkurs-, Ausbildungs- oder Berufswahl. Schulische, berufliche und andere leistungsbezogene Entscheidungen führt Eccles vor allem auf zwei Faktoren zurück: die Erfolgserwartungen und die subjektive Bewertung der Aufgabe (vgl. Abbildung 4). Im einzelnen werden die Variablen Leistungsbezogene Einstellungen, Ergebnisse und Ziele mit den Kausalattribuierungsmustern, den Einstellungen und Verhaltensweisen der Umwelt (vor allem der Eltern und Lehrer), der Geschlechtsrolle, der Selbstwahrnehmung und des Selbskonzeptes sowie der eigentlichen Aufgabenwahrnehmung kausal in Beziehung gesetzt. Die Grundannahme des Modells besagt, daß alle diese Faktoren sowohl die Erfolgserwartungen bezüglich verschiedener leistungsbezogener Aufgaben als auch den subjektiven Wert, den man damit verbindet, beeinflussen. Im wesentlichen sind leistungsbezogene Entscheidungen abhängig von — den individuellen Erfolgserwartungen bezüglich verschiedener Wahlmöglichkeiten; — dem Verhältnis der wahrgenommenen Alternativen sowohl zu den eigenen kurz- und langfristigen Zielen als auch zum Selbstkonzept und zu psychologischen Bedürfnissen; — dem individuellen Geschlechtsrollenbild; — den potentiellen Kosten, die die Entscheidung für eine Aktivität mit sich bringt. Eccles (1985b, S. 265ff.) führt drei wichtige Faktoren für die Erklärung von Geschlechtsunterschieden bei der Fächer- und Ausbildungswahl von begabten Jugendlichen an: 1. Die leistungsbezogenen Entscheidungen als Resultat der Bedeutung, 73

Kulturelles Milieu 1. Geschlechtsrollenstereotype 2. Kulturelle Stereotype bezügl. Schulfächer und beruflicher Charakteristika

I

Subjektive Wahrnehmung der 1. Annahmen, Erwartungen und Einstellungen der Umwelt 2. Geschlechtsrolle 3. Aktivitätsstereotypen

Individuelle Ziele und subjektive Selbstbilder 1. Selbstbilder 2. Kurzfristige Ziele 3. Langfristige Ziele 4. Ideales Selbst 5. Selbstkonzept der eigenen Begabung 6. Wahrgenommene Aufgabenschwierigkeit

Erfolgserwartungen

Einstellungen und Verhaltensweisen der Umwelt

Leistungsbezogene Entscheidungen

I

Begabung, Talente und Temperament

I

Vorangegangene leistungsbezogene Erfahrungen

Interpretation eigener Erfahrung betr. 1. Kausalattribution 2. Kontrollüberzeugung

Affektive Erfahrungen der Person

J

Subjektiver Wert der Aufgabe 1. Anreiz und Erreichbarkeitswert 2. Nutzenüberlegung 3. Kostenabschätzung

2: Modell zur Vorhersage von leistungsbezogenen Entscheidungen (nach Eccles, 1984, 1985b)

welche man der Wahl beimißt. Die Auswahl, die Personen treffen, bewußt und unbewußt, wird gemäß dieser Behauptung in erster Linie davon beeinflußt, wieviel Zeit und Mühe man aufzuwenden bereit ist. 2. Die Entscheidungskriterien, die eine Person in ihr Urteil einfließen läßt. Ein Individuum zieht nicht alle objektiv gegebenen Alternativen in ihre Entscheidungsfindung mit ein. Viele Möglichkeiten werden deshalb nicht berücksichtigt, weil sie der Person nicht bekannt oder nicht kongruent mit der Geschlechtsrolle sind. In diesem Zusammenhang weist Eccles auf die wichtige Funktion von Erziehungspersonen hin: Sie können Jugendliche ermutigen oder entmutigen, eine untypische Berufswahl zu treffen. 3. Leistungsbezogene Entscheidungen werden innerhalb einer komplexen sozialen Realität getroffen, die jeder Person viele Möglichkeiten mit kurzund langfristigen Konsequenzen bietet. Eine Alternative wird meist im Zusammenhang mit anderen bewertet, wobei jede positive und negative Seiten hat. Der Entschluß, Mathematik zu belegen, ist beispielsweise abhängig von der möglichen Kombination mit anderen Fächern oder auch von der Entscheidung einer Freundin. Eccles betont, daß die Frage, warum Frauen sich so entscheiden, wie sie es tun, ebenso wichtig ist wie die Frage, warum sie eine bestimmte Wahl nicht treffen. Gemäß den Modellannahmen ist es möglich, verschiedene Hypothesen zu formulieren, die empirisch zu überprüfen wären: — Eine junge Frau, die Physik als nützlich betrachtet, wird Physik als Studienfach dennoch nicht wählen, wenn die Anstrengung und das Risiko zu versagen als zu hoch und die verbleibende Zeit für andere Interessen als zu gering eingeschätzt werden. — Aufgrund ungenügender Informationen über die Tätigkeiten eines Ingenieurs, die möglicherweise nur deshalb unzureichend sind, weil Technik als männliche Domäne stereotypisiert wird, geht dieses Fachgebiet in die subjektive Wertung einer Studentin in negativer Weise ein und wird somit als Ausbildungsmöglichkeit nicht in Betracht gezogen. Das Modell von Eccles bietet den Vorzug, daß es nicht nur weitere Forschungen anregen kann, sondern vor allem auch eine nützliche Grundlage für Interventionen hergibt, um die B^ijj^ungj^onLMäddr^^miiLjungen Frauen in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen

Gebieten

zu fördern. Das Modell von Chipman & Thomas (1987, S. 415 ff.) übertrifft das 75

Eccles-Modell in seinem Komplexitätsgrad, da es weitere Faktoren in die Analyse einbezieht. Damit sollte eine theoretische Konzeption entworfen werden, die alle denkbaren Einflußfaktoren und deren Zusammenwirken integriert. "Teilnahme" wird auch hier von den beiden Faktoren "Nutzen (und Kosten)" sowie "Erfolgserwartungen" bestimmt (vgl. Abbildung 5). Zusätzlich geht dieses Modell von der Annahme aus, daß auch externe Faktoren wie Schulpolitik und Erziehungspraktiken erheblichen Einfluß auf die endgültige Entscheidung einer Ausbildungs- und Berufswahl haben. Kursanforderung, Beratungspraktiken und die Zulassungspolitik können, so die Autorinnen, für die individuellen Ziele und Entscheidungen ausschlaggebend sein, so daß alle anderen Faktoren in den Hintergrund treten. Chipman & Thomas legen hiermit das Schwergewicht auf den Einfluß, den Lehrer und Berater bei der schulisch-beruflichen Entscheidung ausüben.

Abb. 5: Integrationsmodell (nach Chipman & Thomas, 1987), verkürzte Form

Auf die Erfolgserwartungen wirken folgende Größen: kognitive Fähigkeiten, Kausalattribution, Selbstkonzept der Begabung, frühere Leistungen und Schwierigkeiten, Erwartungen anderer Personen und Geschlechtsstereotype der Gesellschaft. Die Modellannahmen gehen davon aus, daß sich diese Faktoren auch untereinander beeinflussen. Der Wert, den die Teilnahme an einem bestimmten Fachgebiet beinhal76

tet, ist durch die Abwägung zwischen Nutzen und Kosten bestimmt. Hierbei kann man zwischen dem gegenwärtigen Nutzen (intrinsischer Wert, d.h. Bewertung von Mathematik oder Naturwissenschaften an sich) und dem erwarteten Zukunftswert (Berufsaussichten, Prestige) unterscheiden. A n nahmen, Erwartungen und Einstellungen der Umwelt sowie die Konkurrenz mit anderen Aktivitäten, aber auch finanzielle Ressourcen (z.B. Stipendien) gehen in die Kosten-Nutzen-Analyse ein. Abbildung 5 zeigt das Modell in stark komprimierter Form; nur die drei Hauptfaktoren sind aufgeführt. Insgesamt beschreibt dieses Modell 24 Einflußgrößen. Der Nutzen dieses theoretischen Konzeptes ist darin zu sehen, daß es hilft, den Einfluß der einzelnen Variablen auf die endgültige Wahl zu gewichten. So scheint beispielsweise die Einschätzung, daß Mathematikkenntnisse nützlich sind, weniger Gewicht für Teilnahmenentscheidungen zu haben als die Ansicht, daß Mathematik für die eigene berufliche Karriere notwendig ist. Ein am deutschen Schulsystem orientiertes Modell wurde von Hoffmann & Lehrke (1986, S. 193f.) für eine Untersuchung über Schülerinteressen an Physik und Technik konzipiert. Es beinhaltet drei Hauptkomponenten (vgl. Abbildung 6): Vor- und außerschulische Bedingungen (Elternverhalten und sozio-ökonomische Bedingungen) wirken auf die Persönlichkeits- und die Unterrichtsmerkmale ein, die ihrerseits, definiert als erlebter Physikunterricht bzw. Unterrichtsklima, die Persönlichkeitsmerkmale (Selbstkonzept, affektive Beziehungen zu Physik, Erwartungen in bezug auf Beruf und Geschlechtsrolle sowie Leistungen in Mathematik und Physik) beeinflussen. Das Zusammenwirken dieser drei Faktorenbündel, so die Annahme, bestimmen die abhängigen Variablen: das allgemeine Sachinteresse an Physik und Technik, das Interesse speziell am Schulfach Physik und außerschulische Interessen bzw. das Freizeitverhalten, d.h. die Bereitschaft der Schüler und Schülerinnen, sich in ihrer Freizeit mit Physik und Technik zu beschäftigen. Die empirische Überprüfung dieses Modells bestätigte nach Ansicht der Autorinnen weitgehend die postulierten Zusammenhänge. Interessant ist hier vor allem das Ergebnis, wonach die Unterrichtsmerkmale den größten Einfluß auf das Interesse am Schulfach Physik hatten. Resümierend sei festgehalten, daß integrative Modelle zur Erklärung der Entwicklung von mathematischen und/oder naturwissenschaftlichen Inter77

oo

Vor- und außerschulische Bedingungen Eltern-Verhalten - elterl. Modell - elterl. Anregung - elterl. Unterstützung Zugänglichkeit von Material Alter Geschlecht Geschwister

Selbstkonzept - Begabung - Leistung Erlebte Bedeutung von Physik und Technik Berufserwartungen Rollenerwartungen Emotionale Beziehung zu Physik Leistungen in Physik und Mathematik

I

Unterrichtsmerkmale Erfahrener Physikunterricht - behandelte Themen - durchgeführte Tätigkeiten Unterrichtsklima - Schülerbeteiligung - Unterrichtsmethoden - Lehrer-Schüler-Interaktion - Schwierigkeitsgrad/Verständlichkeit des Physikunterrichts

Allgemeines Sachinteresse an Physik und Technik - Gebiete - Kontexte - Tätigkeiten

Interesse am Schulfach Physik

Freizeitverhalten

A b b . 6: Subjektive Bedingungen der Schülerinteressen an Physik und Technik (nach Hoffmann & Lehrke. 1986)

essen vielfach herangezogen werden können. Darüber hinaus leisten sie zur Analyse individueller Entscheidungsbarrieren bei begabten Mädchen einen wichtigen Beitrag, indem sie die Mechanismen und motivationalen Zusammenhänge von EntScheidungsprozessen aufdecken. Entsprechende A n wendungsaspekte sollen im folgenden behandelt werden.

79

Teil III Zur Verbesserung von Ausbildungs- und und Berufschancen für technisch begabte und interessierte Mädchen Die bisher referierten Forschungsergebnisse dokumentieren, daß die aufgewiesenen (geringen) Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich ihrer Fähigkeiten in den Fachgebieten der Mathematik, Technik und Naturwissenschaften nicht die geschlechtsspezifischen Disproportionen der Ausbildungsbeteiligung in diesem Bereich oder auch das entsprechende Interessengefälle erklären können. Die Schulnoten sind weithin vergleichbar, auch in Mathematik und in den meisten naturwissenschaftlichen Fächern. Gehirnphysiologische und neurobiologische Befunde zur Erklärung von Testergebnissen, bei denen die Jungen in der höchsten Begabungsstufe besser abschneiden als die Mädchen, tragen zur Erhellung geschlechtsspezifischer Differenzen solange wenig bei, als es sich hier um Korrelationsstudien handelt, die bekanntlich nicht ohne weiteres kausale Zusammenhänge erlauben (vgl. Kapitel 4). Prinzipiell ist zu erwarten, daß in etwa ein gleicher Anteil von Mädchen wie von Jungen fähig sein müßte, erfolgreich einen mathematischen, naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf auszuüben. Warum die Realität davon abweicht, haben wir anhand verschiedener Modelle zu analysieren versucht. Die entscheidende Frage ist nun, wie die Situation für die betroffenen Mädchen und Frauen verändert werden kann. In den nächsten drei Kapiteln werden wir deshalb Maßnahmen zur Verbesserung von Berufs- und Ausbildungschancen diskutieren. Diese müßten einmal bei der Schülerin bzw. jungen Frau selbst ansetzen, zum anderen aber auch beim Verhalten von Eltern und Lehrern. Schließlich sollen Möglichkeiten und Einflußfaktoren, die die Institutionen Schule, Arbeitsamt bzw. Berufsberatung, Industrie und Medien bieten, erörtert werden.

81

Kapitel 8 Persönlichkeitspsychologische Interventionsansätze Ansatzpunkt für eine Intervention bieten in erster Linie nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale sowie Begabungs- und Interessenvariablen. So werden Vorschläge aus dem Bereich des Motivations- und Attributionstrainings, der Begabtenförderung in reinen Mädchen-Summercamps, im Rahmen von Trainingsmaßnahmen für räumlich-visuelle Fähigkeiten usw. in der Literatur diskutiert. Allerdings besteht in Deutschland ein eklatanter Mangel an konkret ausgearbeiteten und evaluierten Interventionsprogrammen im Hinblick auf die hier erörterte Thematik. Die zitierten Vorschläge stammen deshalb größtenteils aus der angelsächsischen Literatur. Interventionsmaßnahmen, die auf eine Steigerung des Selbstvertrauens abzielen, sollten ihren Schwerpunkt auf Veränderungen des Attributionsstils legen (vgl. Kapitel 5). Ungünstige Attributionsstile müssen so geändert werden, daß Erfolgserlebnisse das Selbstkonzept stärken. Ziel eines Attributionstrainings ist es, die Veränderung der Einstellungsstruktur bezüglich der möglichen Ursachen eines Handlungsergebnisses herbeizuführen: Die subjektive Auffassung des tatsächlichen Ereignisses soll zu einem "günstigen" Attributionsmuster führen. Eine Schülerin, die beispielsweise der Ansicht ist, ihre schlechten Noten in Mathematik wären Folge ihrer mangelnden Fähigkeit (obwohl ausreichende Begabung vorliegt), sollte ihr Erklärungsmuster soweit ändern, daß sie statt mangelnder Begabung unzureichende Vorbereitung oder die Schwierigkeit der spezifischen Aufgabe als subjektiven Grund erkennt. Grundsätzlich bieten sich drei verschiedene Modelle für ein solches Attributionstraining an: der Fehlattributions-Ansatz, der Ansatz der sog. "wahren" Attributionen und die Attributionsstiltherapie (vgl. Antaki & Brewin, 1982). Beim Fehlattributionsansatz zeigt man den Personen, daß die Emotionen (Mißerfolg, Versagen, niedriges Selbstwertgefühl), die sie empfinden, von einer anderen Quelle stammen, als sie bisher annahmen. Mit Hilfe der "wahren Attributionen" versucht man, neue Attributionsmuster aufzubauen. Beispielsweise sollte die Person nach Mißerfolg lernen, daß sie wegen mangelnder Anstrengung Mißerfolg hatte und sich beim 82

nächsten M a l mehr anstrengen muß. Die Attributionsstiltherapie will erreichen, daß Individuen ihre Erfolgserlebnisse auf internale Ursachen zurückführen. Folglich sollten sie sich auf Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften konzentrieren, welche sie häufig ignorieren, um eine realistische (Selbst-)Einschätzung über das Ausmaß an tatsächlich investierter Anstrengung zu erreichen. Dazu werden die Personen veranlaßt, ihre Mißerfolge zu evaluieren und sich zu überlegen, ob es externale Ursachen gibt, um diese erklären zu können. Anhand eines Beispieles wollen wir zeigen, wie junge Frauen durch eine Attributionsstiltherapie ihre Einstellung und damit das Selbstkonzept bezüglich mathematischer, naturwissenschaftlicher bzw. technischer Fächer ändern können. Vier Maßnahmen bieten sich hierfür an: 1. Die Berater (Schulpsychologen oder Lehrer) informieren die Teilnehmerinnen über die Bedeutung ihrer Attributionen. Die verschiedenen Attributionsstile werden erklärt. 2. Jeder Person wird die Art und Weise der Kausalattribution, die für sie selbst charakteristisch ist, demonstriert. Dies kann mit Hilfe eines Rollenspiels oder gemäß dem Konzept der Mißerfolgsattribuierung geschehen: Den Schülerinnen wird eine sehr schwierige Aufgabe gestellt (hier aus dem Fachgebiet der Mathematik oder Physik), welche in der vorgegebenen Zeit unlösbar ist. Anschließend werden sie aufgefordert, eine Erklärung für ihren Mißerfolg zu geben. Diejenigen, die ihren Erfolg internal (und stabil) attribuieren, d.h. auf mangelnde Begabung, werden darüber informiert, daß bei dieser Aufgabe niemand erfolgreich abschneiden kann und die Ursache des Mißerfolges ausschließlich durch externale Faktoren zu erklären ist, nämlich allein durch die Schwierigkeit der gestellten Aufgabe. 3. Es findet eine individuelle Rückmeldung der persönlichen Ergebnisse mittels eines standardisierten Attributionsstil-Fragebogens statt. Jeder Person wird gezeigt, welcher Attributionsstil ungünstig ist und in welchen Situationen Veränderungen erwünscht sind. 4. Begleitend wird die Anweisung gegeben, positive und negative Erlebnisse (Erfolge und Mißerfolge) in einem Tagebuch festzuhalten. Der Inhalt dieses Tagebuchs wird dann in der Beratungsstunde mit dem Schulpsychologen oder (Beratungs-)Lehrer diskutiert. Positive und negative Ereignisse sollten täglich eingetragen werden, wobei für positive Geschehnisse internale Ursachen zu suchen sind, bei negativ erlebten Ereignissen aber externale Gründe im Tagebuch vermerkt werden sollen. 83

In einer Untersuchung von Antaki & Brewin (1982) haben innerhalb von vier bis fünf Wochen viele der Versuchspersonen nach diesem Modell ihre Attributionsperspektive geändert. In klinischen Interventionen (z.B. mit depressiven Patienten) dauert die Umorientierung von Attributionsstilen allerdings erheblich länger. An der Universität München wurde ein Interventionsprogramm konzipiert, das im schulischen Kontext mit Schülerinnen der siebten Klasse durchzuführen ist, also in einem Alter, in dem geschlechtsspezifische Unterschiede in Attribution und Selbstkonzept bezüglich Mathematik und Technik auftauchen. Wenn die Annahme tatsächlich zutrifft, wonach eine der Hauptursachen für mangelndes Interesse und Engagement von Mädchen und Frauen bezüglich Mathematik, Physik, Chemie und Technik im häufig fehlenden Selbstvertrauen und für das Selbstkonzept ungünstigen Attributionsstilen zu suchen sei, dann wäre zu erwarten, daß entsprechende Interventionsmaßnahmen erfolgreich sind. Eine

(quasi-experimentelle)

Veränderungsstudie, die diese These überprüfen könnte, sollte neben der Kausalattribuierungstheorie (vgl. Kapitel 5) mindestens zwei weitere Basiskonzepte miteinbeziehen: die Theorie der Handlungskontrolle nach Kühl (1983, 1987) und das Absichtsregulationsmodell von Dörner (1986). Ähnlich wie bei der Attributionstheorie wird in den Theorien zur Handlungskontrolle die Wichtigkeit von subjektiv wahrgenommenen Erfolgs- oder Mißerfolgserlebnissen betont. Dabei liegt die Akzentuierung jedoch auf den Konsequenzen für die konkrete Handlungsausführung, womit die Attributionstheorie um einen wichtigen Aspekt ergänzt wird. Die Prozesse der Handlungskontrolle beinhalten Strategien zur Steuerung und Beeinflussung der eigenen Motivation, sie dienen der Stabilisierung der aktuellen Motivation in der Realisierungsphase. Die Durchsetzung auch bei auftretenden Schwierigkeiten bzw. die Abschirmung gegenüber anderen Motivationstendenzen, die während der Handlungsausführung aufkommen, bezeichnet Kühl als Ausführungskontrolle. Individuen, so die Annahme des Modells, unterscheiden sich im Grad der Handlungskontrolle: Personen mit hoher Handlungskontrolle werden als handlungsorientiert, Personen mit geringer Handlungskontrolle als lageorientiert bezeichnet. Menschen mit Lageorientierung beschäftigen sich während der Handlungsausführung bevorzugt mit vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen (inneren oder äußeren) Zuständen, was sie in ihrer Handlungsfähigkeit blockiert. Angesichts eintretender Mißerfolge sind sie in ihrer kognitiven Kompetenz beeinträchtigt, da sie eher an ihre Befindlichkeit denken oder an Dinge, die für die Bewältigung der Aufgabe irrelevant sind. Personen mit Handlungsorientierung dagegen konzentrieren sich auf geeignetes Handeln und Planen, um die Probleme zu bewältigen.

84

Im Absichtsregulationsmodell von Dörner wird davon ausgegangen, "daß Verhalten und Erleben in komplexen Situationen abhängig ist von der Wichtigkeit der einzelnen Absichten, ihrer Dringlichkeit und der Kompetenz, die man im Hinblick auf die Lösung des Problems zu haben glaubt" (Stäudel, 1988, S. 136). Dabei wird zwischen heuristischer und epistemischer Kompetenz unterschieden. Heuristische Kompetenz meint Heurismen, mit deren Hilfe man sich in neuartigen Situationen, für die kein oder wenig Wissen existiert, das notwendige Wissen beschaffen kann. Heuristische Kompetenz ist somit "bereichsübergreifendes und allgemeines Metawissen" (Stäudel, 1988, S. 137). Epistemische Kompetenz beschreibt demgegenüber jenes Wissen, über das man im Hinblick auf die spezielle Aufgabe verfügt. Im Selbstbild jedes Menschen existieren subjektive Einschätzungen für solche Kompetenzen, etwa bezüglich Selbstvertrauen oder Selbstsicherheit. Die Selbsteinschätzung der heuristischen Kompetenz beinhaltet das Ausmaß des Vertrauens einer Person in ihre Fähigkeit, neuartige und herausfordernde Situationen bewältigen zu können. Die epistemische und die heuristische Kompetenz bilden zusammen die aktuelle Kompetenz. Diese umfaßt sowohl das Vorwissen als auch die Einschätzung der eigenen Problemlösefähigkeiten. Problemlösefähigkeit ist hier definiert als die Fähigkeit, mit Unbestimmtheit umzugehen.

Ein Prozeßmodell zur Entstehung von Geschlechtsunterschieden hinsichtlich Interesse und Leistung im mathematischen und naturwissenschaftlich-technischen Bereich würde etwa davon ausgehen, daß Mißerfolgserfahrungen hier geschlechtsabhängig unterschiedlich verarbeitet werden: Mädchen und Frauen attribuieren demnach bevorzugt internal stabil, d.h. führen Mißerfolge auf mangelnde Begabung zurück (vgl. Ryckman & Peckham, 1987; Weary, Stanley & Harvey, 1989). Hinzu kommt eine Disposition zur Lageorientierung, die möglicherweise aufgrund ungünstiger Sozialisationsbedingungen und/oder ungenügender Vorerfahrungen entstanden ist, verbunden mit dem Gefühl der Hilflosigkeit. Mädchen weisen bekanntlich im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaften und Technik mehr "Hilflosigkeitserfahrungen" im Sinne von Seligman (1975) auf als Jungen (vgl. Kapitel 5). Daraus resultieren nicht selten wiederum Motivations- und Selbstkontrollmängel (Stiensmeier-Pelster, 1988; Meyer, 1987). Ein Interventionsprogramm mit der Absicht, verschiedene verhaltensbezogene Erfahrungen zu vermitteln und dadurch das schulisch-berufliche Engagement von Schülerinnen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu fördern, wurde an der Technischen Universität Berlin entwickelt und erprobt (Hannover, et al. 1989). Die Stichprobe bestand aus 587 männlichen und weiblichen Gymnasiasten aus 36 Schulen in vier Bundesländern (Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg), eingeteilt 85

in eine Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe. Mit der Interventionsgruppe wurden folgende Maßnahmen durchgeführt: 1. Die Jugendlichen erhielten Experimentierkästen zum Thema "Umweltökologie" zur selbständigen, freiwilligen Bearbeitung zuhause. 2. In einer sechsstündigen Mathematikunterrichtseinheit wurden Aufgaben bearbeitet, die sich speziell auf den Alltag von Mädchen bezogen, mit dem Ziel, das Selbstvertrauen der Mädchen in ihre mathematischen Fähigkeiten zu stärken. 3. Es wurden Besichtigungen von Betrieben im naturwissenschaftlich-technischen Bereich durchgeführt, um die jungen Frauen über Möglichkeiten technischer Berufe zu informieren. 4. Alle beteiligten Lehrer und Lehrerinnen erhielten eine Zusammenstellung der Forschungsergebnisse zum Thema "geschlechtsspezifische LehrerSchüler-Interaktion". 5. Die Jugendlichen nahmen an einem technischem Leistungswettbewerb teil. Aufgabe war es, verschiedene kleine technische Geräte zu montieren. 6. In einem zweitägigen Wochenendseminar (durchgeführt auf Landesebene) nahmen alle Mädchen an einem Computerkurs teil, während die Jungen einen Film über die Probleme eines Mädchens in einem typischen Männerberuf sahen. Allen Jugendlichen wurde ein physikalisches Experiment mit Alltagsbezug vorgeführt. Femer nahmen die Jugendlichen an einem Videokurs teil und drehten im Anschluß daran selbst einen Film. Die Wirkung der Interventionsmaßnahmen wurde durch einen Fragebogen überprüft, der beiden Versuchsgruppen vor und nach der Durchführung des Programms vorlegt worden war. Mädchen, die an dem Programm teilgenommen hatten, zeigten im Vergleich zu anderen Mädchen, daß sie — zuversichtlicher waren, Mathematikaufgaben erfolgreich bearbeiten zu können, bzw. ihre mathematischen Fähigkeiten realistischer, d.h. positiver einschätzten; — mehr Erfahrungen im praktischen Umgang mit alltäglichen technischen Problemen hatten, was sich günstig auf die Berufswünsche auswirkte; — ihrem zukünftigen Beruf im Vergleich zu Familie und Freizeit ein höheres Gewicht beimaßen; — positivere Einstellungen erworben hatten und daher eher beabsichtigten, einen Leistungskurs und einen Beruf im naturwisenschaftlich-technischen Bereich zu ergreifen; 86

— durch diese Wahl weniger befürchteten, die soziale Anerkennung und Unterstützung von Bezugspersonen zu verlieren. Hinsichtlich der Effektivität der einzelnen Maßnahmen traten einige interessante Ergebnisse zutage: Das Arbeiten mit dem Experimentierkasten erhöhte die Einschätzung der subjektiven Mathematikkompetenz. Die Beschäftigung mit technischen Dingen in der Freizeit hatte also positive Wirkungen auf das Konzept der eigenen Begabung (in bezug auf die mathematische Leistungsfähigkeit). Dagegen zeigten die Betriebsbesichtigungen nicht die erwarteten Effekte. "Unsere Ergebnisse belegen, daß Betriebsbesichtigungen in der gängigen Form eher abschreckend auf die Schüler wirken und zwar insbesondere auf naturwissenschaftlich-technisch interessierte Mädchen. Vermutlich bedingt dadurch, daß üblicherweise nur Arbeitsplätze im Bereich der Fertigung (z.B. Fließbandtätigkeiten), nicht aber der Arbeitsplanung und -Vorbereitung bei einer Besichtigung gezeigt werden, fühlen sich die Schülerinnen und Schüler nicht zu einer entsprechenden Berufstätigkeit angeregt, sondern sind eher negativ überrascht über die Arbeitsbedingungen von Personen in niederqualifizierten Positionen, die insbesondere Gymnasiasten von ihrem eigenen Sozialisationshintergrund her häufig nicht bekannt sind" (Hannover et al., 1989, S. 57).

Insgesamt beurteilen die Autorinnen die Wirkung einer Intervention als positiv. Stereotypen über geschlechtstypische bzw. -untypische Interessen und Fähigkeiten konnten abgeschwächt werden, und das naturwissenschaftlich-technische Interesse und Selbstvertrauen der Mädchen zeigte deutlich höhere Werte. Inwieweit die Absicht, einen Beruf im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaft und Technik zu ergreifen, in die Realität umgesetzt wird, können freilich nur Langzeitstudien zeigen. Einige Untersuchungen belegen, daß kurzfristige Interventionsprogramme nur temporär Erfolge bringen. Wichtig ist offensichtlich die gleichzeitige, dauerhafte Modifikation der Unterrichtsbedingungen (Fox, 1976; Krug & Hanel, 1976; Krug, 1983; Weßling-Lünnemann, 1985). Summercamps und F ö r d e r p r o g r a m m e verfolgen das Ziel, begabte und interessierte Mädchen zusammenzuführen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Inhalte aus Mathematik oder Naturwissenschaft in einer fördernden Atmosphäre zu lernen, ohne dabei mit bekannten Stereotypien konfrontiert zu werden. Dazu dienen sowohl außerschulische Kurse, die während des ganzen Schuljahres stattfinden, als auch Summercamps, in denen junge

87

Frauen über mehrere Wochen zusammen mit anderen Mädchen und weiblichen Lehrkräften ihr Fachwissen vertiefen. Fox, Benbow & Perkins (1980) haben dieses Konzept in einer Feldstudie erprobt, mit Schwergewicht auf Algebraunterricht und soziale Unterstützung. Weibliche Rollenmodelle fungierten dabei als Vorbilder, die die Mädchen ermuntern und ihnen Vorschläge unterbreiten sollten, wie eine "mathematische Karriere" aussehen könnte. Besonders betont wurde die Bedeutung der Teilnahme an Mathematikkursen, sowohl in der Schule als auch an der Universität. Sieben Jahre später wurde überprüft, inwiefern die angestrebten Ziele längerfristig erreicht worden waren. Es zeigte sich, daß diejenigen Mädchen, die den Sommerkurs erfolgreich absolviert hatten, ihren Klassenkameradinnen im Niveau überlegen waren. Aufgrund dieser Akzeleration konnten sie Fortgeschrittenenkurse in Mathematik besuchen. Darüber hinaus stieg bei dieser Teilnehmergruppe die Zahl derjenigen, die in der High School und an der Universität das Fach Mathematik belegten. Allerdings hatte dieser Trend keine weiterreichenden beruflichen Auswirkungen; so konnten insgesamt keine Unterschiede bezüglich beruflicher Ziele oder Laufbahnen festgestellt werden. Aufschlußreich erscheinen in diesem Zusammenhang ferner die Ursachenerklärungen hinsichtlich der weiblichen Zurückhaltung bei technischen Fächern. So beklagten Mädchen vor allem das Defizit an weiblichen Rollenmodellen, während Jungen für Mädchen und Frauen die Schwierigkeit hervorhoben, Familie und Karriere in Einklang zu bringen. Interessant ist auch der Befund, wonach Mädchen, die in dem genannten Trainingskurs weniger erfolgreich waren, sich nicht von der Vergleichsgruppe unterschieden, also weniger häufig an Fortgeschrittenenkursen

teilnahmen.

Diese Beobachtung bestätigt die Annahme, daß ohne ein Mindestmaß an mathematischer Begabung bzw. kognitiven Fähigkeitsvoraussetzungen solche Förderprogramme nicht greifen können. Verschiedene Studien belegen, daß manche Arten von räumlichen Wahr| !

nehmungs- und Denkprozessen trainiert werden können (vgl. Kapitel 3). Mädchen und Frauen, die durch geschlechtsspezifische Sozialisationseinflüsse (z.B. unterschiedliches Spielzeug) und/oder Freizeitaktivitäten weniger Gelegenheit hatten, den vielfältigen Umgang mit räumlichen Objekten zu üben, könnten durch entsprechendes Training im Technikbereich oder auch in den Naturwissenschaften gefördert werden. 88

O'Connor & Serbin (1985) haben die Trainierbarkeit r ä u m l i c h e r F ä higkeiten empirisch überprüft. Die Studie, mit einer Stichprobe von 231 Schülern und 203 Schülerinnen aus der achten Klasse, verglich fünf verschiedene Trainingsprogramme bezüglich ihrer Effektivität. Dabei wurden zwei Arten von räumlich-visuellen Fähigkeiten analysiert: "spatial orientation" (räumliche Orientierung) und "spatial visualization" (räumliche V i sualisierung). Zwei von den fünf Trainingseinheiten waren erfolgreich. Eine einmalige 30minütige Trainingsphase führte zu einer signifikanten Zunahme der Leistung bei zwei Trainingsmethoden. Diese Studie bestätigt, daß räumliches Denken bei Schülern und Schülerinnen der achten Klasse prinzipiell trainierbar ist. Die Tatsache, daß drei Trainingsmethoden keine Wirkung zeigten, kann zum einen darauf zurückgeführt werden, daß effektive Fördermaßnahmen schwierig zu entwickeln sind, und zum anderen, daß 30 Minuten als Trainingszeit wohl doch nicht ausreichen. Die Autoren schlagen deshalb vor, längere Trainingsphasen einzuführen, um Langzeiteffekte zu erzielen und um Zusammenhänge zwischen dem Training räumlich-visueller Fähigkeiten und mathematischem oder naturwissenschaftlichem Erfolg aufzudecken. Über weitere Studien zum Training räumlicher Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozesse berichten Bennett, Seashore & Wesman (1973), Ekstrom et al. (1976). Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang noch, daß bei Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz räumlichen Denkens als Hauptursache für die berichteten Geschlechtsunterschiede die (von Lernerfahrungen abhängige) Performanz vermutet wird. Demnach hätten Frauen spezifische Probleme vor allem bei der Anwendung, weniger beim Verständnis räumlicher Problemstellungen (Liben & Golbeck, 1984; Meehan, 1984). Inwieweit hiervon die mathematische Denkfähigkeit tangiert wird, ist gegenwärtig umstritten. Unter den vielen Aspekten des räumlichen Denkens, bei denen Geschlechtsunterschiede beobachtet wurden, weisen diejenigen, die nicht oder nur gering mit der Mathematikleistung korreliert sind, die größten Differenzen zwischen Frauen und Männern auf (Benbow, 1988). Ausführlicher vgl. Wieczerkowski & Prado (1990). Speziell zur Förderung technischer Kreativität — und relevanter mathematischer Fähigkeiten — finden sich zahlreiche Anregungen in dem kürzlich erschienenen DABEI-Projektbericht

zur techno-ökonomischen

Kreativität

(Heister,

1991). 89

Am Beispiel der skizzierten Untersuchungen zur Verbesserung ungünstiger Persönlichkeits-Lernumwelt-Interaktionen wurde deutlich, daß monokausale Ansätze kaum eine Chance haben, das komplexe Zusammenspiel im aufgezeigten Problemkontext nachhaltig zu beeinflussen. Eine dauerhafte Änderung der Leistung und Interessen bedarf der unterstützenden Mitwirkung der sozialen Umwelt. Entsprechende Fördermaßnahmen werden im folgenden diskutiert.

90

Kapitel 9 Ansatzpunkte für Maßnahmen im Rahmen der Schule und des Elternhauses Die vorliegenden Untersuchungen (vgl. Teil II) zeigen, daß Einstellungen und Verhaltensweisen der Bezugspersonen sowohl direkten als auch indirekten Einfluß auf die Leistung, die Interessen und das Engagement junger Frauen haben. Änderungs- bzw. Förderungsmaßnahmen beziehen sich im wesentlichen auf vier Schwerpunkte (Hoffmann, 1988a, S. 11 f.): 1. Berücksichtigung spezifischer Interessen und Fähigkeiten von Mädchen und jungen Frauen (Hoffmann, 1988b; Cooper & Robinson, 1989; Kalmbach etal., 1990). — Eine Änderung der Lehrpläne bezüglich der Inhalte und Kontexte von Unterrichtsaktivitäten würde die Jungen — so belegen empirische Untersuchungen — nicht benachteiligen. Da Mädchen an sozialen Implikationen und ihrer praktischen Anwendbarkeit großes Interesse zeigen, wäre es für die Erarbeitung physikalischer Inhalte günstig, als Kontexte beispielsweise die Humanbiologie, medizinische Anwendungen oder Naturphänomene zu wählen. Auch bei der Darstellung neuer Technologien könnte der Nützlichkeitsaspekt betont werden, etwa durch Problematisierung des Gebrauchswertes für den Menschen. — Jungen und Mädchen unterscheiden sich häufig im Sozialverhalten. Dieser Tatsache kann durch die Verwendung kooperativer Lernstrategien Rechnung getragen werden. So lassen sich beispielsweise die Unterrichtsmaterialien durch Teilung der Information auf die Gruppenmitglieder derart aufbereiten, daß eine Lösung nur gemeinsam möglich ist. Da Mädchen eine Abneigung gegen Wettbewerbssituationen haben, kommt dieses kooperative Lernen Mädchen entgegen. — Das Unterrichtsmaterial sollte so gewählt werden, daß es geschlechtsneutral ist, d.h. Situationen und Probleme müssen so ausgesucht werden, daß sie für Jungen und Mädchen gleichermaßen interessant sind. — Lehrkräfte und Eltern sollten Mädchen die Möglichkeit geben, männliche und androgyne Erfahrungen zu machen, da Forschungsergebnisse belegen, daß die Art der Spielaktivitäten Einfluß auf die spätere 91

Berufsentscheidung hat. Hierbei ist die aktive Unterstützung wichtig, da erwachsene Rollenmodelle nützlich sind, um neue Interessen bei Kindern und Jugendlichen zu wecken bzw. zu fördern. 2. Maßnahmen, die es den Schülerinnen ermöglichen, fehlende Vorerfahrungen auszugleichen (Hoffmann, 1988a; Olszewski-Kubilius et al., 1990; Metz-Göckel et.al, 1991): — Mädchen haben aufgrund geschlechtsspezifischer häuslicher Sozialisationseinflüsse oft keine oder nur geringe Vorerfahrungen in bezug auf Naturwissenschaften und den konkreten Umgang mit technischen Geräten. Da Jungen häufig schon Experimentiererfahrungen bzw. Kenntnisse über das Funktionieren von Computern erworben haben, sind sie im Physik- oder Informatikkurs im Vorteil. Solche Vorerfahrungen werden insbesondere durch selbständige Lernmöglichkeiten erworben. Deshalb ist die Organisation von Technikkursen, Arbeitsgemeinschaften für Naturwissenschaften, Computerclubs und Camps speziell für Mädchen (schon in der Primarstufe ) zu empfehlen. — Dies würde auch eine für Mädchen angemessenere didaktische Vermittlungsform erleichtern. Mädchen kompensieren ihren Trainingsmangel im praktischen Hantieren offensichtlich mit einer Anlage zu prädikativen Denkstrukturen und zu begrifflichen Lösungen. Sie neigen dazu, sich Probleme vor der Lösung zunächst zu veranschaulichen und dann das Problem schrittweise anzugehen. Durch entsprechende Erklärungsmodelle kann man den weiblichen Lernstil berücksichtigen: Neue Informationen sollten in einen größeren, allgemeinen Rahmen eingeordnet und in ihren kausalen Bezügen dargestellt werden, wobei am besten an schon bekannte Erfahrungen und Vorstellungen angeknüpft wird. Darüber hinaus sollte man Mädchen die Möglichkeit geben, ihre Lösungsstrategien sukzessive zu entwickeln. 3. Maßnahmen zur Stärkung des Selbstkonzeptes und Aulbau eines erweiterten Selbstbildes (Meyer, 1983; Weßling-Lünnemann, 1985; Faulstich-Wieland & Dick, 1989; McCormick, 1990): — Identifikationsmodelle für Mädchen sollten in den naturwissenschaftlichen Unterricht einbezogen werden. Denkbar wäre dies durch Beschäftigung mit der Biographie einer berühmten Naturwissenschaftlerin (z.B. Grace Murray Hopper, Martine Kempf oder Lise Meitner) oder etwa durch Gastvorträge weiblicher Repräsentanten u.a. 92

— Die Befunde zur Koedukationsdebatte legen es nahe, zeitweise reine Mädchenklassen für den naturwissenschaftlichen Unterricht einzurichten. — Die Vermittlung günstiger Attributionsmuster, insbesondere durch Abbau nachteiliger Fähigkeitsattribuierung nach Mißerfolg, wird begünstigt, indem Ursachenerklärungen mit zeitkonstanten Faktoren wie Fähigkeit vermieden werden. Lehrkräfte und Eltern sollten sich um eine variable, situationsangemessene Attribuierung mit Hervorhebung des Anstrengungsfaktors bemühen. — Günstig für die Stärkung des Selbstbewußtseins ist auch der Aufbau einer positiven Affektbilanz durch Verbalisierung positiver Erwartungen. — Den Schülerinnen sollte die Überzeugung vermittelt werden, daß Schulleistungen eher flexibel und durch eigenes Handeln zu beeinflussen sind. — Ferner ist eine Sensibilisierung in bezug auf die Art der Kommunikation anzustreben, denn das Konzept der eigenen Begabung wird wesentlich durch das Verhalten der Lehrer und Eltern beeinflußt: Lob und Tadel, das Hilfeverhalten, die emotionalen Reaktionen oder das Zuweisen von Aufgaben, aber auch nonverbale Verhaltensweisen liefern Informationen darüber, wie Begabung und Leistungsfähigkeit von einer anderen Person eingeschätzt werden. In diesem Zusammenhang ist die Studie von Gore & Roumagoux (1983) aufschlußreich, die eine Analyse in der vierten Klasse über die "Wartezeit" als entscheidende Variable

bei Geschlechtsunterschieden

im

Mathematikunterricht

durchgeführt haben. 79 Jungen und 76 Mädchen sowie fünf Klassenlehrer/innen dienten als Stichprobe. Das Ziel dieser Untersuchung bestand darin festzustellen, ob die Lehrkräfte den Mädchen und Jungen auf eine Frage im Mathematikunterricht unterschiedliche Wartezeiten zubilligen. In Verbindung mit der empirisch gut belegten Tatsache, daß von Mädchen im Mathematikunterricht weniger erwartet wird als von Jungen, könnten sich unterschiedliche Wartezeiten auf Mädchen negativ auswirken. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigten, daß Lehrerinnen und Lehrer signifikant länger auf die Antwort der Jungen warten als auf die der Mädchen. Änderungsmöglichkeiten, die sich hier anbieten, liegen zwar auf der Hand, sind aber schwer umzu93

setzen: Lehrer und Lehrerinnen müssen bewußt versuchen, Mädchen mehr Zeit zu geben, bevor sie mit "Hilfeleistungen" unterbrechen und ihnen keine Chance mehr geben, die richtige Antwort selbst zu finden. — Die realistische

Einschätzung

subjektiver

Möglichkeiten

junger

Frauen zur Überschreitung traditioneller Rollenerwartungen und Durchsetzung eigener Interessen werden durch die Schaffung einer Informationsbasis gefördert. Die Einschätzung der beruflichen Notwendigkeit steht bei Mädchen im Vordergrund. Die Bedeutung von Mathematik, Naturwissenschaften und Technik für die Lebensplanung junger Frauen sollte deshalb bei der schulischen Vermittlung deutlich werden. Das Aufzeigen von Möglichkeiten, auf welche Weise Karriere und Familie vereinbar sind, werden ebenfalls eine naturwissenschaftlich-technische Berufsorientierung positiv beeinflussen. — Ausreichendem Selbstbewußtsein kommt auch deswegen so hohe Bedeutung zu, weil Führungseigenschaften mit hohem Selbstbewußtsein verbunden sind. In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll die kommunikativen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten von Frauen zu betonen und ihre Bedeutung als wichtige Eigenschaften für Führungskräfte. 4. Maßnahmen zum Abbau von Rollenstereotypen (Hoffmann, 1988a; Faulstich-Wieland & Dick, 1989): — Förderprogramme zur naturwissenschaftlich-technischen Bildung von Mädchen sollten auf der Ebene der Lehreraus- und -fortbildung ansetzen. Dabei ist wichtig, gerade weibliche Lehrkräfte zur Weiterqualifizierung zu animieren. Ihr Interesse, beispielsweise einen Computerunterricht durchzuführen, ist ebenso wenig selbstverständlich wie das der Schülerinnen, daran teilzunehmen. Lehrerinnen sollten deshalb, etwa im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen, fachlich und persönlich auf die Erteilung eines mädchengerechten Unterrichts vorbereitet werden. — Dazu bedarf es Änderungen schulischer und familiärer Voreingenommenheiten, sowohl hinsichtlich der Fähigkeiten von Mädchen als auch der Bedeutung mathematisch-naturwissenschaftlicher Bildung für die weibliche Lebensplanung. — Das Verhaltens von Lehrkräften im Unterricht sollte so geartet sein, daß Mädchen ebenso wie Jungen die Möglichkeit haben, eine positive Einstellung zu Mathematik, Naturwissenschaft und Technik aufzu94

bauen. Neben Lehrertrainingskursen ist die Verhaltensanalyse

im

Unterricht oder in Erziehungssituationen zur entsprechenden

Be-

wußtmachung geeignet. Es wäre z.B. möglich, das eigene Verhalten mit einer Videocamera aufzeichnen zu lassen und die Aufnahme nachher auf stereotypisches Verhalten zu analysieren. Dies könnte etwa im Rahmen einer Fortbildung stattfinden, bei der es um die Sensibilisierung der eigenen Wahrnehmung geht. Lehrer und Lehrerinnen sind gleichermaßen von stereotypischem Verhalten gegenüber Mädchen und Jungen betroffen, was auf den ersten Blick vielleicht überraschen mag. Empirische Befunde weisen darauf hin, daß sich Lehrkräfte in den naturwissenschaftlichen Fachgebieten einer Umorientierung am hartnäckigsten widersetzen. Naturwissenschaftslehrerinnen sollten sich ihrer wichtigen Aufgabe als Vorbild und Rollenmodelle für junge Frauen bewußt werden (ausführlicher vgl. z.B. Stage & Kreinberg, 1985; Stage et al., 1985; Stasz et al., 1985; Kalmbach et al., 1990; oder das Handbuch "Girls into Mathematics" der Open University in Cambridge (1986), das viele konkrete Beispiele und Handlungsanregungen enthält). — Im Elternhaus bestehen weitere Möglichkeiten, Mädchen im Bereich von Mathematik, Naturwissenschaften und Technik durch Abbau stereotyper Verhaltensweisen zu fördern: Spielzeug muß nicht geschlechtsspezifisch "eingeteilt" und Bücher sollten mit Sorgfalt ausgewählt werden, um traditionelle Rollenklischees zu vermeiden. Auch beim Vorlesen wäre es möglich, die Rollenmuster, die in den Büchern nicht immer zu vermeiden sind, einfach einmal zu tauschen und dem Kind zu verdeutlichen, daß andere "Kombinationen" von Berufen, wie beispielsweise Managerin mit männlichem Assistent, durchaus vorkommen. Weiterhin sollten Eltern bei der Hausaufgabenhilfe nicht starr die üblichen Rollen übernehmen: Väter können ebenso beim Abfragen von Vokabeln helfen wie die Mütter bei Analysis und Physik. Veränderte Arbeitsteilungen in der Familie helfen nicht nur beim Abbau unerwünschter Rollensklischees, sie haben darüber hinaus vor allem eine präventive Funktion in der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen unter der Perspektive gleicher Pflichten und Rechte für Jungen und Mädchen.

95

Kapitel 10 Forderungen an die Institutionen Eine Berufsausbildung ist für junge Frauen heute zwar zur Selbstverständlichkeit geworden, die Ergebnisse verschiedener Modellversuche belegen jedoch, daß die Berufswahlvorbereitung durch die Schulorganisation, die Berufsberatung oder das Angebot an Ausbildungsplätzen entscheidend beeinflußt wird. Im folgenden werden wir deshalb einige Vorschläge diskutieren, wie die entsprechenden Forschungsbefunde in institutionelle Maßnahmen zur Förderung junger Frauen umgesetzt werden können. Der Empfehlungskatalog soll Anregungen vermitteln und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch sind manche der folgenden "Empfehlungen" aus der Literatur, z.B. das häufig reklamierte (weibliche) Rollenmodell, im Kontext der hier erörterten Thematik keineswegs empirisch eindeutig bestätigt. Dieser Vorbehalt gilt auch für andere (vorschnelle) Konsequenzen, etwa aus der aktuellen Koedukationsdebatte. In Holland wird z.Z. ein Modellversuch für den Mathematikunterricht in der Schule erprobt (van der Werf, 1987). Schüler und Schülerinnen müssen dort am Ende der 4. Oberschulklasse (= 9. Gymnasialklasse) eine Wahl treffen, die für ihre weitere Mathematikerziehung ausschlaggebend ist. Dafür gab es bislang folgende Wahlmöglichkeiten: Mathematik 1 für diejenigen, die später Mathematik oder Naturwissenschaften studieren wollen; Mathematik 2 für diejenigen, die schon Mathematik 1 absolviert haben und ihre Kenntnisse noch vertiefen wollen; keine Mathematik. Für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die nicht vorhaben, ein technisches Studienfach zu belegen, bestand bislang also ab der 5. Klasse kaum eine Möglichkeit, Mathematik zu belegen. Diese Wahlmöglichkeit wurde nun in 40 Schulen abgeschafft und durch folgende vier Alternativen ersetzt: — Mathematik A , bei der angewandte Aspekte der Mathematik behandelt werden, wie z.B. Statistik. Die Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler, die später Betriebswirtschaft oder Sozialwissenschaften studieren wollen; — Mathematik B, die mit dem ursprünglichen Curriculum von Mathematik 1 vergleichbar ist, aber zusätzlich Geometrie beinhaltet. Zielgruppe sind 96

an Mathematik oder Naturwissenschaften

interessierte

Schüler und

Schülerinnen; — sowohl Mathematik A als auch B; — keine Mathematik. Mit diesem Programm erhoffte man sich, Mathematik für alle Jugendlichen, besonders auch für Mädchen, attraktiver zu machen. Es wurde erwartet, daß an jenen Schulen, in denen das neue Mathematikprogramm unterrichtet wird, mehr Schüler und Schülerinnen Mathematik wählen würden als in den Schulen, bei denen noch das alte Programm durchgeführt wird. Femer war damit die Hoffnung verbunden, daß Schüler und Schülerinnen, die Mathematik A wählen, positivere Einstellungen zu Mathematik haben würden als diejenigen, die das alte Programm von Mathematik 1 wählen. Diese Erwartungen wurden zum größten Teil bestätigt, wie die Ergebnisse der Nachuntersuchung zeigen. Mathematik wurde sowohl von männlichen als auch von weiblichen Jugendlichen nach Einführung des neuen Programms signifikant häufiger gewählt. Mädchen allerdings wählten M a thematik A häufiger als Mathematik B . Hinsichtlich der Einstellungen zur Mathematik ergab die Datenauswertung, daß Schüler und Schülerinnen, die das neue Programm Mathematik A wählten, Mathematik weniger als "männliches Fach" wahrnehmen im Vergleich zu jenen, die die "alte" M a thematik 1 besuchen. Dieser Versuch bestätigt, daß inhaltliche Veränderungen des Mathematikunterrichts zu erhöhter Teilnahme führen, wenn angewandte Aspekte der Mathematik mitberücksichtigt werden. Dies gilt auch für Schüler und Schülerinnen, die nicht-mathematische Fächer im Studienplan bevorzugen. Es wird erwartet, daß diese Reform in Holland künftig für Schülerinnen und Schüler zu einer positiveren Einstellung gegenüber der Mathematik und ihrer Anwendung in allen Bereichen ihrer beruflichen Zukunft führen wird. Ein Pilotprojekt "Mehr Mädchen in Naturwissenschaften" wird auch aus Baden-Württemberg berichtet, wo bereits 1984/85 sog. Arbeitsgemeinschaften für besonders befähigte Schüler und Schülerinnen im Sekundarstufenbereich eingerichtet wurden. An diesen extracurricularen Enrichmentkursen nehmen inzwischen über 3000 Jugendliche aller Schulformen teil (vgl. Heller, 1988, 1990b; Hany & Bittner, 1989; Hany & Heller, 1991b). Das neue Pilotprojekt wurde im Schuljahr 1989/90 an verschiede97

nen Gymnasien mit zehn Arbeitsgemeinschaften in den Fächern Chemie, Physik und Informatik nur für Mädchen gestartet (Ministerium für Kultus und Sport (MKS), 1991). Ausgangspunkt war eine statistische Erhebung an allen baden-württembergischen Gymnasien zur Mädchenbeteiligung im Bereich Computer und Informatik. Dabei ergaben sich folgende Anteilsraten für Schülerinnen am Gymnasium: Leistungskurs Physik 5%, Informatikkurs 30%, Landeswettbewerb Mathematik 35%. Bei den

naturwissenschaftlich-technischen

Wettbewerben beteiligen sich — wie aus der Literatur hinlänglich bekannt — nur wenige Mädchen und Frauen. Bereits im folgenden Schuljahr (1990/91) konnte wegen des wachsenden Interesses der Mädchen die Zahl der Arbeitsgemeinschaften (mit derzeit über 400 Teilnehmerinnen) auf 25 erweitert werden. Erklärtes Ziel dieser Pilotprojekte ist es, "geeignete schulische Maßnahmen zu finden, um die Zurückhaltung der Mädchen bei der Wahl naturwissenschaftlicher Fächer abzubauen, ohne das koedukative Prinzip aufzugeben" (MKS, 1991, S. 11). Da dieser Versuch auch für andere Länder interessant sein dürfte, sei hier etwas ausführlicher auf die bisher vorliegenden Ergebnisse eingegangen. Dabei beziehen wir uns auf die oben genannte Quelle des M K S , das folgende Zwischenbilanz zieht: "Die Mädchen nahmen diese Arbeitsgemeinschaften als 'Starthilfe' bereitwillig an, gingen mit viel Interesse und Engagement an die neuen Unterrichtsinhalte heran und zeigten positive Ergebnisse. Die Lehrer begrüßten deshalb eine solche zeitweilige Arbeitsgemeinschaft in den Fächern, in denen erkennbare Hemmschwellen bei Mädchen vorhanden sind. Die Arbeitsgemeinschaft sollte entweder begleitend zum Anfangsunterricht oder etwa ein Jahr bevor das Fach regulär beginnt eingerichtet werden" (S. 11). Diese wie auch die folgenden Ergebnisse resultieren aus den Daten der Lehrerbefragung. So wird weiterhin berichtet, daß mit dem Besuch der Arbeitsgemeinschaften ein verändertes Sozialverhalten beobachtet wurde: Die betreffenden Schülerinnen "hatten keine Scheu, auch sehr einfache Fragen zu stellen; ihr Selbstvertrauen stieg, da sie vermehrt Erfolgserlebnisse aufweisen konnten; ihr Auftreten auch im Normalunterricht war freier und ungezwungener, auch den Jungen gegenüber; sie stellten auch im Normalunterricht mehr Rückfragen und gaben mehr positive und negative Äußerungen" (S. 11). Die Mädchen selbst gaben als Motive für ihre AG-Teilnahme an, mehr 98

fachliche Informationen zu gewinnen, Vorkenntnislücken auszugleichen und dadurch den Vorsprung der Jungen aufzuholen, ungenierter Fragen stellen zu können, das Arbeitstempo individueller zu gestalten u.a. Interessant ist weiterhin, daß sich sowohl die Mädchen als auch die Lehrer und Lehrerinnen für die Koedukation aussprachen, da sie sich nach ihrer M e i nung bewährt habe. In diesem Zusammenhang wurden folgende Argumente gegen eine Erweiterung des getrennten Unterrichts (bei gleichzeitiger Befürwortung

vorübergehender

Mädchen-Arbeitsgemeinschaften)

vorge-

bracht: Eine zu lange Trennung wird als lebensfremd und schädlich im Hinblick auf das spätere Studium und Berufsleben empfunden;

die

"ansp*rnende Konkurrenz der Jungen" gehe verloren und ein Ausgleich zwischen männlichen und weiblichen Verhaltensweisen wird befürchtet; schließlich wehren sich die Mädchen gegen den bei zu langer Trennung entstehenden Eindruck, sie hätten "Nachhilfe" nötig. Auswirkungen auf die schulischen Leistungen, etwa in Form einer Notenverbesserung in den kritischen Fächern, konnten nicht beobachtet werden. Dazu war jedoch wahrscheinlich auch die Zeitspanne von einem Jahr zu knapp. Entgegen manchen Befürchtungen gegenüber gleichgeschlechtlicher Unterrichtung wurde hier keine Verstärkung bekannter Rollenklischees festgestellt. Allerdings fiel ein deutlich geringeres Konkurrenzverhalten der AG-Teilnehmerinnen untereinander im Vergleich zum koedukativen Unterricht beziehungsweise gegenüber Jungen auf. Die Mädchen waren stärker an praktischen Anwendungen und Erklärungen für alltägliche und soziale Probleme interessiert als Jungen, was mit den in der einschlägigen Literatur berichteten Befunden übereinstimmt (z.B. Wieczerkowski & Prado, 1990). Insgesamt scheint sich diese Form, der Förderung interessierter Schülerinnen im Kontext koedukativer Schulsysteme gut zu bewähren. Weitere Erfahrungen, auch in anderen Ländern, sowie systematische Evaluationsbefunde hierzu können einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung schulischer Rahmenbedingungen leisten. Daß es letztlich auch individueller Anstrengungen bedarf, d.h. nur im günstigen Zusammenwirken motivationaler, kognitiver und sozialer Faktoren dauerhafte Fortschritte zu erzielen sein werden, haben wir bereits mehrfach betont. In der Literatur zu dem hier angesprochenen Thema finden sich zahlreiche Überlegungen und praktische Vorschläge, wobei deren Evidenz auf 99

den ersten Blick oft mächtiger erscheint als die empirisch nachgewiesene Tauglichkeit. Deshalb sind vor allem wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich, um kontrollierte Erfahrungen für die pädagogische Praxis nutzbar zu machen. \

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der zeitweilige Unterricht mit

\ reinen Mädchen- oder Jungengruppen durchaus positive Auswirkungen ha) ben kann. Solche Arbeitsgemeinschaften ermöglichen Mädchen Freiräume, um auf ihre individuelle Art einen Zugang zu den neuen Technologien zu finden. Wichtig hierfür erscheint nach Meinung vieler Sozialwissenschaftler/innen die "Vorbildfunkton": Mädchen sollen wissen und insbesondere erleben, daß es auch in den "männer-dominierten" Fachbereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik erfolgreiche Frauen gibt, die über ein kompetentes Wissen verfügen und dieses Wissen auch vermitteln können (z.B. Hannoveretal., 1989; Boswell, 1980; Brody & Fox, 1980). Arolt hat aufgrund der kontroversen Diskussion um Koedukation vs. Mädchenschule einen Forderungskatalog aufgestellt, der eine Koedukation in modifizierter Form unterstützt (Arolt, S. 70, in Faulstich-Wieland, 1987). So wird zunächst vorgeschlagen, geschlechtshom*ogene Gruppen bei bestimmten Themen (z.B. Geschlechtsrollenproblematik, Frauengeschichte) einzuführen. Dies würde nach Meinung der Autorin zur geschlechtsspezifischen Identitätsbildung beitragen, insbesondere zur Förderung des weiblichen Selbstbewußtseins und der Durchsetzungsfähigkeit. Weiterhin wurden "Mädchenförderkurse" in männerdominierten Fächern (z.B. Mathematik und Technik) vorgeschlagen. Für Mädchengruppen hätte dies den Vorteil, daß die Verstärkung der Geschlechtsrollenstereotypen aufgehoben wird, die Unterrichtsbeteiligung von seiten der Mädchen steige und das freie Reden über individuelle Probleme gefördert werde. Dies ermögliche den Mädchen in einer weitgehend entspannten, weil konkurrenzlosen Atmosphäre, den Erfahrungsvorsprung der Jungen auszugleichen. Ferner sollten veränderte Unterrichtsinhalte zur Bewußtmachung geschlechtstypischer Differenzen in bezug auf Einstellungen und Fähigkeiten eingeführt werden. "Nichtsexistische" Lehrbücher und Curricula werden gefordert sowie ein Angebot alternativer Identifikationsfiguren für Mädchen und Jungen in Geschichte und Gegenwart, insbesondere im Hinblick auf zukunftsorientierte Berufsperspektiven. Die unterschiedlichen Erfah-

100

rungswelten von Mädchen und Jungen sollten durch Rollenspiele dargestellt werden. In diesem Zusammenhang wird häufig vorgeschlagen, in den mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Fächern Beispiele für Mädchen im Unterrichtsmaterial einzuführen, wobei die Frau in aktiven Rollen präsentiert wird. Rollenmodelle sollten nicht nur in Schulbüchern erscheinen, sondern auch ein lebendiger Bestandteil des Unterrichts sein. So könnten Gastvorträge angeboten werden, in denen Frauen aus der Industrie oder Forschung und Hochschullehre ihre Erfahrungen und Erfolge in der Berufswelt den Schülern und Schülerinnen mitteilen. Im Hinblick auf weibliche Interessen wäre eine Kombination von Biologie, Technologie und Physik mit sozialem Bezug förderlich. Günstig wäre es auch, im naturwissenschaftlichen Unterricht einen Alltagsbezug für Mädchen herzustellen. Denn Schülerinnen und Studentinnen interessieren sich bevorzugt für praktisch-nützliche oder sozialverträgliche Technologien, z.B. die Entwicklung von Behinderten-Hilfsgeräten (Malcolm, 1988), aber auch für Energieprobleme und deren Lösung, für Astronomie und vieles mehr (Hoffmann & Lehrke, 1986). Rollenstereotype — so eine weitere Überlegung — sollten durch Unterrichtsmaterialien aufgedeckt werden, die belegen, daß solche Klischees nicht biologisch definiert sind. Als Beispiel für eine solche Maßnahme sei wne''Untef§ucHung zu Interaktionen in der Schule, durchgeführt von Enders-Dragässer & Fuchs (1988) mit einer 11. Klasse (Gymnasium), erwähnt: Im Fach Deutsch hatten die Jugendlichen die ersten Seiten des Romans "Die Töchter Egalias" von Gert Brantenberg laut gelesen. Der Roman handelt von einem fiktiven Land Egalia, in dem sämtliche Rollenstereotypen "umgekehrt" realisiert werden. Anschließend wurde der Inhalt diskutiert. Dieses Unterrichtsgespräch wurde gefilmt und protokolliert. Die Analyse der Unterrichtsmitschrift offenbarte drei verschiedene Argumentationsformen der Schüler und Schülerinnen. Die "offene" Argumentation läßt eine Weiterentwicklung in verschiedene Richtungen zu, z.B. "Das ist eine ganz normale Familiengeschichte, nur halt mit vertauschten Rollen, ansonsten mitten aus dem Leben ..." Die "Relevanz"-Argumentation spricht die Wichtigkeit einer solchen Darstellung an: "... es ist das, was viele Frauen eigentlich denken ..." Die "Irrelevanz"-Argumentation versucht, die Feststellung des mangelnden Erkenntniswertes und des mangeln101

den Gewinns, der aus der Lektüre gezogen werden kann, zu belegen, wie z.B. "Das macht es so unrealistisch, diese vertauschten Rollen ...". Im Diskussionsverlauf der Unterrichtsstunde wurden Argumente, die Veränderungen betreffen, kaum weiter verfolgt, und das offene Argument zunehmend in Richtung auf das Irrelevanzargument ausgebreitet. Diese Ausweitung des offenen Arguments besorgten in der Regel die Jungen: "Einfach die Rollen vertauscht, sinnlos...". So plausibel diese und ähnliche Forderungen auch erscheinen mögen, die daran geknüpften Erwartungen sind bisher nur unzureichend nachgewiesen. Vor allem die Annahme spezifischer Rollenmodellwirkungen läßt sich nach den Ergebnissen von Armstrong (1979), Casserly & Rock (1979), Parsons et al. (1982), Leferink (1988), Hannover et al. (1989) u.a. nicht ohne weiteres auf die hier erörterte Problemsituation übertragen. Auch die Hypothese in bezug auf Effekte sog. sexistischer vs. nichtsexistischer Lehrbuchinhalte auf die Fächerwahl von Jungen und Mädchen ist keineswegs bisher gesichert. Hingegen konnten Holz-Ebeling & Hansel (1992) in ihrer Studie an hessischen Mädchen-(Privat-)Schulen ausgeprägtere Interessen und ein besseres Begabungsselbstkonzept dieser Schülerinnen, im Vergleich zu Schülerinnen der koedukativen Schulen, bezüglich mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer bestätigen, was mit den Befunden von Roloff et al. (1987) übereinstimmt; ausführlicher vgl. noch Heller (1992a/b). Eine interessante Interventionsmöglichkeit auf Institutionsebene eröffnen die Modellversuche zur "Erschließung gewerblich-technischer Ausbildungsberufe für Mädchen". Zwischen 1978/88 und 1985/86 wurden an 21 bundesrepublikanischen Standorten bei 217 Betrieben und Ausbildungsstätten Versuche durchgeführt, um gewerblich-technische Berufe für Mädchen attraktiver zu machen. Sie wurden wissenschaftlich begleitet, wobei auch physische und psychische Aspekte der jungen Frauen erfaßt wurden. Zielstellung war die Erschließung gewerblich-technischer Berufe für Mädchen durch Ausweitung des Ausbildungsspektrums und Abbau von Benachteiligungen für Mädchen und Frauen im Beschäftigungssystem. Neben Analysen zur Motivation der jungen Frauen sollten die Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf längerfristige Veränderungen evaluiert werden (vgl. Alt et al., 1988; Wolf, 1986). Ein umfangreicher Bericht zu Berufsübergängen und Berufsverläufen in Niedersachsen und Berlin wurde vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1991a) vorgelegt. 102

Die "Anwerbung" der Mädchen erfolgte durch Öffentlichkeitsarbeit (Reportagen aus Betrieben, Zeitungsartikel, Anzeigen und Referate), durch innerbetriebliche Imagepflege für das Vorhaben und die Ausbildung von jungen Frauen in "unüblichen" Berufen, durch Erstellung und Verbreitung von Faltblättern, Broschüren und Plakaten, durch schulische Veranstaltungen für Jugendliche und Eltern sowie durch Informations- und Überzeugungsarbeit mit potentiellen Multiplikatoren (Gespräche mit Berufsberater/innen,

Vermittler/innen, Ausbildungsberater/innen

und auch

Leh-

rer/innen). Festgestellt wurde, daß zu den von den Bewerbern benutzten Informationsquellen die Elternunterstützung eine sehr geringe Rolle gespielt hat. Viele Eltern sprachen sich gegen eine gewerblich-technische Ausbildung für ihre Töchter aus. Bei der Information durch Medien nahmen Faltblätter und Broschüren die wichtigste Rolle ein. Die Befragung bezüglich der Motivationsgründe zur Teilnahme ergab, daß viele junge Frauen ursprünglich die gewerblich/technischen Berufe nicht in ihre Berufswahlüberlegungen einbezogen hatten. Ihre Berufswünsche entsprachen vielmehr dem Geschlechtsrollenstereotyp und dem für Mädchen angebotenen Ausbildungsspektrum. Es zeigte sich aber, daß durch gezielte Information über ein breiteres Berufsangebot in Verbindung mit einem konkreten Ausbildungsplatz Mädchen und junge Frauen für gewerblich/technische Berufe zu motivieren sind. Zur Verbesserung dieser Situation erscheint jedoch eine verstärkte allgemeine Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Mädchen, Frauen und Technik erforderlich. Weiterhin wurde dokumentiert, daß die Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen in allen 75 in das Modellprogramm einbezogenen Berufen möglich ist, ohne daß besondere inhaltliche/didaktische oder formale/organisatorische Umstellungen erforderlich werden. Auch die physischen A n forderungen waren kein Hinderungsgrund. Schwierigkeiten hatten die Mädchen zu Anfang der Ausbildung aufgrund der im Vergleich zu Jungen fehlenden Vorerfahrung im Umgang mit Technik. Diese Erfahrung sollte in Zukunft vor allem zu Beginn der Ausbildung berücksichtigt werden. 980 der 1186 Modellversuchsteilnehmerinnen haben an Facharbeiter- bzw. Gesellenprüfungen teilgenommen, davon 963 erfolgreich. Die Ergebnisse der Analyse zeigen insgesamt, daß mit den Informationsund Motivierungsmaßnahmen in erster Linie Mädchen mit bereits vorhandenen Interessen für einen gewerblich/technischen Ausbildungsberuf er103

reicht werden. Es wurde auch deutlich, daß Mädchen weniger Information und Beratungshilfe aus dem sozialen Nahbereich erhalten. Sie sind somit stärker auf eine Beratung durch Fachpersonen und auf Informationen der Ausbildungsbetriebe selbst angewiesen. Vor allem in der Schule und in der Berufsberatung scheinen noch Verbesserungen möglich und nötig. Gut angenommen wurde — so der Bericht des Bundesministers für B i l dung und Wissenschaft (1991b, S.49) — der Modellversuch "Schnupperlehre für Mädchen", der Anfang 1987 mit einer dreijährigen Dauer in Hamburg durchgeführt wurde. Ziel war es, das Berufswahlspektrum von Mädchen unter Einbeziehung der technikorientierten Berufe zu erweitern. Dazu wurden zweitägige bis einwöchige Werkstattaufenthalte

sowie Informa-

tionsveranstaltungen und Unterrichtsprogramme zum Thema "Frauen in technikorientierten Berufen" angeboten. Insgesamt nahmen in drei Jahren 1900 Mädchen an Informationsveranstaltungen teil, und für ca. 700 Mädchen wurden Werkstatt-Tage durchgeführt. Im Rahmen dieses Versuchs werden folgende Erfahrungen berichtet (S. 49): Mädchen und junge Frauen — haben sehr wenig Informationen über technisch-gewerbliche Berufe, aber viele Vorurteile; — reduzieren das Berufswahlspektrum immer noch auf wenige traditionelle Frauenberufe;. — verknüpfen die Berufswahl sehr eng mit ihrer Frauenrolle und lassen sich deshalb nur sehr zögerlich auf sog. frauenuntypische Bereiche ein; — lassen sich durch praktische Werkstatterfahrung motivieren und zeigen Interesse an Praktika oder handwerklichen Freizeitkursen; — bekamen mehr Zutrauen in ihre eigenen handwerklichen Fähigkeiten durch die Werkstattarbeit und gingen mutiger mit Material, Werkzeug und Maschinen um; — werden durch die Arbeit in der Werkstatt ermutigt, an einem bereits getroffenen technikorientierten Berufswunsch festzuhalten. Die Ergebnisse dieses Modellversuches legen die Einführung obligatorischer Orientierungspraktika nahe, bei denen in verschiedenen Berufsfeldern praktische Erfahrungen gesammelt werden können. Günstig wäre es auch, wenn Schüler und Schülerinnen möglichst früh über die Berufswahlmöglichkeiten informiert werden sowie über die Relevanz ihrer (Leistungs-)Kurswahl im Hinblick auf eigene zukünftige Mög104

lichkeitcn. Da Mathematik als "kritischer Filter" (Visser, 1987) beim Zugang zu Naturwissenschaft und Technik betrachtet wird, ist die Wahl für einen Beruf, der mathematische oder technische Voraussetzungen erfordert, dann zu spät, wenn die wichtigsten Fächer aus mangelnder Information schon abgewählt wurden. Wie komplex sich die psychischen Vorgänge bei der Berufswahl darstellen, mag folgendes Zitat erhellen: "Berufswahl ist ein Entwicklungsprozeß, der aus dem Zusammenspiel von Reifungsprozessen und Lernerfahrungen seine innere Dynamik erhält und zur Ausbildung eines Selbstkonzepts, eines Umweltkonzepts und von Problemlösungsmethoden führt. In Entscheidungssituationen bezieht der Berufwähler aus seinem Selbstkonzept die Entscheidungskriterien, aus seinem Umweltkonzept — gegebenenfalls angereichert durch aktuelle Informationsaktivitäten — die Entscheidungsalternativen und aus seinem Repertoire an Problemlösungsmethoden die Entscheidungsfertigkeiten. Auf der Grundlage dieser Entscheidungsprämissen gelangt er zu Handlungspräferenzen und zu Annahmen über ihre Realisierbarkeit (Realisierungserwartungen). Es erfolgt die (vorläufige) Festlegung auf eine Handlungsmöglichkeit (Handlungsabsicht). Die tatsächlich vollzogene Handlung (Berufswahlschritt) steht — wie vorhergehende Handlungen — unter den Bedingungen und Einflüssen der Umwelt und stellt eine neue Lernerfahrung dar, und zwar in gleichzeitiger Interaktion mit Reifungsprozessen. Das Zusammenspiel von Lernerfahrungen und Reifungsvorgängen wirkt sich wiederum auf das Selbstkonzept, das Umweltkonzept und die Problemlösungsmethoden aus" (Bußhoff, 1984, S. 183f.).

Trotz der aufgezeigten Komplexität von Berufswahlprozessen ist eine Unterstützung der Entscheidungsvorbereitung möglich. Rimele-Petzhold (1986, S. 71 f.) macht folgende Vorschläge für eine verbesserte Berufswahl von Mädchen: 1. Berufswahlvorbereitung muß wegen ihres Prozeßcharakters frühzeitig einsetzen; wenn sie spätestens in der 7. Klasse einsetzt und möglichst viele Fächer einbezieht, kann sie den Bedürfnissen von Mädchen (und Jungen) besser gerecht werden. Die Schule sollte die geschlechtsspezifische Berufsorientierung von Mädchen und Jungen als Problem aufgreifen und vor allem die Mädchen bestärken, ein breiteres Berufswahlspektrum aufrechtzuerhalten. 2. Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und damit die Frage der Lebensplanung ist ein wichtiger inhaltlicher Baustein bei der Berufswahlvorbereitung in der Schule. 105

3. Da die neuen Technologien Berufs- und Alltagsleben der Menschen mehr und mehr durchdringen, sollte eine technische Grundbildung für alle sichergestellt werden. Dies ist auch für eine Berufswahl von sog. Frauenberufen wichtig, da gerade diese Berufe von der technischen Entwicklung stark betroffen sind. 4. Die schulische Aufgabe der Berufswahlvorbereitung muß ebenso in der Lehrerfortbildung entsprechend berücksichtigt werden. Hier wäre das Problem der geschlechtsunabhängigen Berufsfindungsprozesse und ihrer Bedingungen zu diskutieren. 5. Berufswahlvorbereitung sollte Elternarbeit miteinbeziehen. Dabei können Informationen, z.B. über die Modell vorhaben zur Erschließung gewerblich/technischer Ausbildungsberufe für Mädchen, vermittelt und diskutiert werden. 6. In der Berufswahlvorbereitung an Schulen sollten insbesondere auch die Erfahrungen erwerbstätiger Frauen miteinbezogen werden. 7. Es ist anzustreben, daß alle Schülerinnen und Schüler jeweils ein Praktikum in zwei verschiedenen Bereichen (im gewerblich-technischen Bereich und im kaufmännischen oder verwaltenden Bereich) absolvieren. Das Praktikum hat dann eine wichtige Unterstützungsfunktion für die Berufsorientierung, wenn es in eine umfassende Vor- und Nachbereitung eingebunden ist. 8. Betriebsbegehungen sowie Gespräche mit Auszubildenden sollten gefördert werden, weil sie am ehesten sinnlich-konkrete Vorstellungen von Berufen und deren Tätigkeitsfeldern erschließen. Die unterstützenden Maßnahmen müssen allerdings auf der institutionellen Ebene fortgesetzt werden, auch wenn die jungen Frauen ihre Berufswahl bereits getroffen haben. Gesellschaftspolitische Vorkehrungen sind nötig, damit Frauen sich dauerhaft in diesen Berufen durchsetzen können und Chancengleichheit gewährleistet wird. Nachstehend seien stichwortartig einige organisatorische Rahmenbedingungen aufgelistet, in denen viele Frauen Möglichkeiten sehen, ihr Berufsleben besser mit der familiären Lebensplanung zu vereinbaren: — Angebot von Kindergarten- und Hortplätzen auch in Firmen; — Förderung neuer Arbeitsformen (z.B. Job-Sharing); — Finanzielle Anreize für Firmen, die die vorgenannten Möglichkeiten einräumen; 106

— Weiterbildungsmöglichkeiten für Frauen, die Erziehungsurlaub nehmen; z.B. Fortbildungskurse im technischen Bereich oder Urlaubsvertretungen. Für weitere Informationen hierzu vgl. Heinz & Krüger (1981), Lederer (1982), Rummel (1982), Ostner (1984), Röhrich (1986), Roloff et al. (1987).

107

Ausblick Die in diesem Buch behandelte Thematik hat eine längere Geschichte, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Frage nach geschlechtsspezifischen Begabungsunterschieden vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion sog. Begabungsoder Bildungsreserven (vgl. Heller, 1966, 1969, 1970) wiederaufgegriffen. Anlaß hierfür war damals die generelle Unterrepräsentation von Mädchen und Frauen im Gymnasium und auf der Universität. Entsprechende A n strengungen zur Verringerung der "Mädchenbegabtenreserve" waren denn auch insoweit erfolgreich, als heute das Geschlechterverhältnis auf dem Gymnasium völlig ausgeglichen ist. Diese Aussage trifft natürlich nicht für einzelne Fächer wie Physik Chemie, Mathematik oder insbesondere den Technikbereich zu. Analog zur Situation in den 60er und frühen 70er Jahren stellt sich heute die Frage nach der Chancengleichheit für Mädchen und Frauen, so wenn nach den Ursachen unterschiedlicher Interessenschwerpunkte

von Mäd-

chen und Jungen bezüglich Mathematik, Naturwissenschaft und Technik gefragt wird. Doch treten nicht nur geschlechtsspezifische Disparitäten in diesen Bereichen auf. Merkwürdigerweise wird die Unterrepräsentierung der Männer in vielen Erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Fächern, aber auch in (fremd)sprachlich orientierten Disziplinen — um nur wenige Beispiele zu nennen — kaum als Problem angesprochen. Dieser Hinweis soll vor einseitigen, verzerrenden Darstellungen im Hinblick auf die Zielperspektive warnen. Es ist kaum anzunehmen, daß der Idealzustand in einem völligen Ausgleich psychologischer Geschlechtsunterschiede besteht. Insofern erhält die öffentliche Forderung nach Beseitigung solcher Differenzen eine andere Dimension als die vergangene Debatte um rechtliche und institutionelle Voraussetzungen der Chancengleichheit für beide Geschlechter, die ja heute unbestritten ist. Verletzungen dieses Grundrechts werden nunmehr ursächlich auf der sozialen und individuellen Ebene gesehen, wofür die Hauptinhalte dieses Buches viele Belege liefern. Mit anderen Worten: Nach dem Abbau vieler "objektiven" Barrieren auf dem Wege zur Gleichberechtigung von Mann und Frau steht im Mittelpunkt der aktuellen Forschungs- und Bildungsdiskussion bezüglich der hier thematisierten Problembereiche die Aufdeckung 108

"subjektiver" Hindernisse, seien sie individueller und/oder sozialer Natur. Darauf hat bereits vor 25 Jahren Dahrendorf in seiner bürgerrechtlichen Begründung der Chancengerechtigkeit in Erziehung und Ausbildung hingewiesen; der damalige Analysebefund hat offenbar wenig an Aktualität eingebüßt: "Auch hier also muß die Reform weniger die Schule und ihre Formen als den Institution gewordenen Wertungen der Gesellschaft gelten, die an sich Begabten den Weg versperren, auf den diese ein Anrecht als Bürger haben" (1966, S. 71f.). Hierin und nicht in unkritischen Forderungen nach Quoten und egalisierten Beteiligungsraten u.a. sehen wir letztlich eine Legitimation für die Auseinandersetzung mit der im Buchtitel umrissenen Thematik. Folgerichtig untersuchten wir schwerpunktmäßig persönlichkeitsbezogene (individuelle) und sozialisationsbedingte Ursachenfaktoren, die begabte und interessierte Mädchen und Frauen daran hindern, ihr geistiges Potential zu entwickeln und für die eigene Zukunfts- bzw. Lebensplanung voll zur Geltung zu bringen. Das Postulat begabungsgerechter Entwicklungs- und Sozialisationschancen gilt selbstverständlich für alle Bereiche, nicht nur für mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Berufsfelder. Im Hinblick aber auf die weithin vergleichbaren Fähigkeitsvoraussetzungen beider Geschlechter erscheint es als höchst unwahrscheinlich, daß Mädchen und Frauen speziell für diese Tätigkeitsbereiche wegen Begabungs- und/oder Interessendefiziten so selten Zugang finden. Neben gesellschaftlichen Ursachen wie tradierter Rollenklischees oder der Etikettierung bestimmter Bereiche als "männliche" Domänen kommen für auffällige geschlechtsspezifische Disparitäten hier vor allem persönlichkeitspsychologische Konstrukte in Frage, z.B. geschlechtsspezifische Kausalattributionen von Erfolg vs. Mißerfolg, ungünstige Begabungsselbstkonzepte und Motivationsstile oder auch affektive Barrieren. In der Veränderung solcher ungünstiger psychischer Mechanismen bzw. in entsprechenden

Präventionsmaßnahmen

erblicken wir die

größte

Chance, begabte Schülerinnen in ihrer Interessenentwicklung zu unterstützen, so daß sie ihren Neigungen auch in bislang männlich dominierten Ausbildungs- und beruflichen Laufbahnen ungehindert nachgehen können. Dabei soll der Wert flankierender institutioneller Maßnahmen, etwa auf schulischer und vor allem familiärer Seite sowie im Freizeitbereich, keineswegs als gering erachtet werden. In den letzten Buchkapiteln wurden 109

hierzu zahlreiche Beispiele diskutiert. Wie jedoch kontrollierte Erfahrungen zeigen, verändern solche Rahmenbedingungen

die Hauptprobleme

kaum, solange nicht gleichzeitig ungünstige Persönlichkeitsvoraussetzungen wie ineffektive Motivations- und Arbeitsstile, selbstwertbeeinträchtigende Attributionsformen, mißerfolgszentrierte Handlungskontrolle u.a. verändert werden. Und dazu bedarf es letztlich der aktiven Mitarbeit der Betroffenen selbst. Daß positive Veränderungen auch unter den Bedingungen der — im Hinblick auf viele Erziehungsziele nach wie vor als Leitidee favorisierten — Koedukation möglich sind, konnte in diesem Buch neben einem Bündel weiterer Maßnahmen aufgezeigt werden. Vor allem in diese Richtung sollten u.E. die Anstrengungen verstärkt werden, bevor übereilte schulische Reformen bzw. die Aufgabe koedukativer Erziehung (mit vielleicht anderen, unerwünschten Folgen) beschlossen werden. Überhaupt gebietet die vielschichtige Problematik nicht nur unterschiedliche Lösungsansätze, sondern auch Behutsamkeit und vor allem Kreativität im Auffinden von brauchbaren Konzepten, d.h. realisierbaren Lösungen im Problemfeld. Die Sensibilisierung für solche Fragestellungen ist dabei oft ein erster und notwendiger Schritt, dem freilich konkrete Handlungen — auf Seiten des Individuums wie auf Seiten der sozialen Umwelt — folgen müssen. Sofern dieses Sachbuch für die angesprochenen Probleme sensibilisiert und zum Nachdenken oder gar aktiven Handeln anzuregen vermag, hätte es eine wichtige Funktion erfüllt. Die Beschäftigung mit den virulenten Fragen über geschlechtsspezifische Differenzen wird die Wissenschaftler, die Pädagogen und die Bildungspolitiker, aber auch die Betroffenen selbst (und wer wäre hier nicht betroffen?) noch geraume Zeit in Atem halten.

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